Vom Zentralmassiv bis zum Mittelmeer

Eine kulinarische Cabrio-Tour durch das herbstliche Piemont
 

Das Auge erfreut sich morgens an der wunderschönen Hügellandschaft mit nebelverhangenen Tälern und tagsüber an bunt leuchtendem Weinlaub im Sonnenschein; die Nase wie auch der Gaumen wiederum werden verwöhnt mit dem endlich trinkreifen Barolo, Barbera, Barbaresco und Moscato sowie mit dem frisch aus der Erde gegrabenen weißen Trüffel, der (nicht nur) in den unzähligen Sterne-Restaurants großzügig über die Gerichte gerieben wird. Abends fällt der Genießer dann gesättigt und leicht angetrunken – also glücklich – in sein Bett in einem der stilvollen und luxuriösen Bed & Breakfast, die die Region so zahlreich zu bieten hat, vorzugsweise mit angegliedertem Weingut.

Es ist November, die Hochsaison für Genießer im Piemont. Wir starten unseren Kurztrip mit dem Cabrio von Zürich aus, bei 8°C und Nieselregen natürlich geschlossen. Auf dem Gotthard fahren wir vorbei am ersten Schnee des Jahres und machen erst mal die Sitzheizung an. Am Lago Maggiore wird es zum Glück bereits sonniger und wärmer, so dass wir unser Verdeck öffnen und zumindest mit Mütze und Schal warm eingepackt die frische Herbstluft einatmen können.


Das Piemont erwartet uns dann mit wolkenlosem, blauen Himmel und strahlendem Sonnenschein. Das Thermometer zeigt sogar 16°C an, und die Mützen verschwinden im Kofferraum. Wir drehen das Radio auf: Ciao Italia, ciao amore…! Vorbei an Bilderbuchlandschaften mit den sanft gewellten Hügeln und Weinbergen fahren wir unserem ersten Ziel entgegen: Mombello Monferrato, einer idyllischen Gemeinde in der Anbauregion des Barbera. Hier haben wir uns aus der Fülle der Übernachtungsmöglichkeiten für das La Cantinetta Resort entschieden. Begrüßt werden wir von Donatella, die die beiden renovierten Apartments an der Stadtmauer mit viel Liebe zum Detail eingerichtet hat. Von der Terrasse aus eröffnet sich dem Gast ein grandioser Blick über die Weinberge. Wir fühlen uns sofort wie zu Hause und beglückwünschen uns zu dieser Wahl. Donatella lädt uns zu einem Aperitif in ihrem Haus ein, wo wir auch ihren Mann Roberto kennen lernen. Er ist Winzer und produziert im angegliederten Weingut kleine Mengen an Barbera, den lokalen Rotwein Grignolino sowie ausgezeichneten Süßwein aus Moscato- (Ultimosole) und Muskateller-Trauben (Guidogiulio).


Am Abend machen wir uns dann auf die Suche nach unserem Restaurant A Casa di Babette, das als Geheimtipp im Guide Michelin angepriesen wird und zumindest mit den handelsüblichen Navigationssystemen auch sehr geheim bleibt. Als wir es mit etwas Verspätung schließlich finden, erwartet uns ausgezeichnetes Essen (Tipp: Tartar vom Fassone-Rind mit weißen Trüffeln) in einem stilvollen Ambiente. Wir sind nun doch ein bisschen froh, dass das Restaurant so versteckt liegt und daher vermutlich noch nicht überrannt wird. Nicola, der Besitzer, bedient uns persönlich und versucht mit Hilfe eines Wörterbuchs die Gerichte der nur in Italienisch gehaltenen Karte verständlich zu machen. Schließlich bestellen wir etwas, von dem wir halbwegs zu wissen glauben, was uns erwartet (eben jenes Fassone-Rind) und lassen uns einen dazu passenden Champagner empfehlen – denn eine weitere Spezialität des Hauses ist die große Auswahl an ausgesuchten Champagnern von kleinen französischen Weingütern. Wir lassen es uns schmecken und bedauern kurz, nicht im zugehörigen Bed & Breakfast zu übernachten (und somit mehr Champagner genießen zu können). Aber Nicola weiß Abhilfe – der angebotene Champagner wird auch zum Mitnehmen verkauft.

Nach der kurzen Rückfahrt zurück zu unserer Unterkunft entfachen wir das Feuer in unserem Kamin, sinken zufrieden auf das Sofa und lassen den gelungenen Abend mit einem Glas des mitgenommenen Champagners ausklingen.

Am nächsten Morgen erwartet uns der Ausblick auf die nebelverhangenen Weinberge von Monferrato und ein üppiges Frühstück mit Donatellas selbstgebackenem Kuchen. Nach einer kurzen Weinprobe geht es weiter Richtung Barolo, bei Sonnenschein natürlich wieder mit offenem Verdeck.

Unterwegs besuchen wir die Cascine Drago der Poderia Colla in San Rocco Seno d’Elvio, etwa 7 km von Alba entfernt. Das Weingut liegt eingebettet in Weinberge mit herbstlich leuchtendem Laub auf dem Hügel namens Bricco del Drago (Drachenkrug). Der gleichnamige Wein ist nur einer von vielen ausgezeichneten Weinen, die wir zusammen mit Pietro Colla im kleinen Weinbaumuseum des Weinguts probieren dürfen. Nebenbei erfahren wir einiges über die lange Geschichte des Weinguts. Sie beginnt bereits im Römischen Reich mit dem Kaiser Publius Helvius Pertinax, der aus dieser Gegend stammen soll. Schon im Mittelalter wurde hier Wein angebaut, und der vorherige Besitzer, ein Apotheker namens Dr. Luciano Degiacomi, hat im Museum viele antike Fundstücke gesammelt, die man während der Weinprobe
bewundern kann und die Geschichten Pietros lebhaft untermalen. Neben den mehrfach prämierten, sehr gehaltvoll ausgebauten lokalen Weinsorten wie Barbera d‘Alba, Barbaresco, Nebbiolo d’Alba und Dolcetto (unter anderem besagter „Bricco del Drago“, seit 1969 angebaut und sehr lagerfähig) versucht sich der 1980 geborene Winzer auch an Riesling aus 35-Jahre-alten Reben, die noch der Vorbesitzer als Hobby und Rieslingliebhaber angepflanzt hat, und Pinot Noir, der seit 1977 dort angebaut wird und somit einer der ältesten Pinot-Noir-Weinberge in Italien ist– letzterer wird je nach Jahrgang zu Sekt, Weißwein (Blanc de Noir), Rotwein und Rose ausgebaut. Pietro betont, dass die Trauben nur von Hand geerntet werden; sein Team besteht aus nur 15 erfahrenen Erntehelfern, die seit 10 Jahren dort beschäftigt werden. Dsas Ergebnis kann sich sehen lassen und führte zu mehrfach prämierten Weinen wie dem Barolo Bussia Dardi Le Rose 2007, der im italienischen Weinführer Gambero Rosso mit der höchsten Bewertung von drei Gläsern ausgezeichnet wurde. Auch der Barbaresco Roncaglie 2009 und der Riesling Langhe 2011 erhielten immerhin zwei Gläser. Wir kaufen ein paar Kisten und verabschieden uns schweren Herzens.

Das nächste Weingut, das wir besuchen, ist ebenfalls voller Geschichte und eines der ältesten in Barolo: Marchesi di Barolo. Gründer waren die Markgrafen Falletti, die Anfang des 19. Jahrhunderts den Barolo erfunden haben sollen. Während der sehr informativen Führung durch die Gewölbe des altehrwürdigen Gebäudes inmitten der Altstadt erfahren wir viel über den Weinanbau an sich und bestaunen riesige Holzfässer voll mit Barolo. Im zugehörigen Restaurant Foresteria kann der Weinliebhaber sogar Raritäten aus der privaten Weinsammlung bestellen und genießen, z.B. eine Flasche Barolo aus den 1940ern für rund 700 Euro. Wir begnügen uns allerdings mit den aktuellen Jahrgangsweinen wie dem im Gambero Rosso mit drei Gläsern ausgezeichneten Barolo Cannubi 2010 und Barolo Sarmassa 2008.

Quasi als Kontrastprogramm zu so viel Geschichte fahren wir weiter zu den Brüdern Ezio und Massimo Negretti in La Morra. Seit 2002 produzieren die beiden eine kleine, aber feine Auswahl an Barolo, Dolcetto, Nebbiolo, Barbera und Chardonnay. Massimo nimmt sich viel Zeit für uns und man merkt deutlich die Hingabe, mit der er sich dem Weinbau widmet. Aufgrund der kleinen Mengen bleibt ihm genug Zeit, den Ausbau jeden einzelnen Weines zu perfektionieren, indem er die Reben selbst schneidet und das für die jeweilige Weinsorte geeignete Holzfass nach Holzart und „Toasting“ aussucht. Auch der Chardonnay wird im Holzfass gelagert und ist im Gegensatz zu den traditionellen Weißweinen der Region sehr lagerfähig – wir durften den Jahrgang 2008 probieren und waren begeistert. Ein privates Projekt von Massimo ist der Anbau eines ungewöhnlichen Cabernet Sauvignon aus 30 Jahre alten Reben, der jedoch aufgrund der geringen Mengen (4 Fässer pro Jahr) nicht im Handel verkauft wird – leider, wie wir anmerken müssen. Die Brüder sind Mitglied von Langa Style, einer Vereinigung von fünf befreundeten Jungwinzern der Region, die unter anderem ein gemeinsames Marketing betreiben. Wir sind auch ohne viel Marketing überzeugt und nehmen einige Flaschen mit…

Auf dem Weg zu unserer nächsten Unterkunft machen wir einen Abstecher zur Bar Roma in Santo Stefano Belbo. Die familiär geführte Bar des kleinen Städtchens serviert unter anderem einen vorzüglichen Moscato Secco, eine trocken ausgebaute Variante des gängigen Moscato, die man in den Geschäften leider selten findet. Mit einem eisgekühlten Glas in der Hand lässt sich als offensichtlich einziger Tourist das typisch italienische Treiben in und vor der Bar beobachten: Italien-Feeling pur. Praktisch auch, dass alle Flaschen auch zum Verkauf gedacht sind, so dass der Kofferraum wieder um ein paar Flaschen voller wird.

Derart beladen machen wir uns auf den Weg nach Calamandrana, wo uns Angelo in der von ihm und seiner Frau geführten Residenza San Vito erwartet. Das alte Landhaus wurde erst kürzlich geschmackvoll restauriert und letztes Jahr eröffnet; entstanden ist eine gelungene Mischung aus Antik und Modern – so wurden unter anderem die aus den vorigen Jahrhunderten stammenden Betten mit neuen, hochwertigen Matratzen ausgestattet, da Angelo selbst es nicht leiden kann, wenn er im Hotel mit Rückenschmerzen aufwachen muss. Die fünf Zimmer der Residenza sind großzügig gestaltet und erstrecken sich teilweise über zwei Stockwerke. Es gibt sogar einen kleinen Wellness-Bereich mit Sauna sowie einen beheizten Pool. Wer sich hier nicht erholen kann, kann es vermutlich nirgends. Und, wie soll es auch anders sein, baut Angelo nebenbei auch ein bisschen Wein an – Kostprobe gefällig?

Unterkünfte:

La Cantinetta Resort

http://www.lacantinettaresort.it

Via Orti 3

15020 Mombello Monferrato (AL)

Residenza San Vito

http://www.residenzasanvito.it

Frazione San Vito 52

14042 Calamandrana (AT)

Weingüter:

Poderia Colla

http://www.podericolla.it

San Rocco Seno d'Elvio 82

12051 Alba (CN)

Marchesi di Barolo

http://www.marchesibarolo.com

Via Alba 12

12060 Barolo (CN)

Negretti Vini

http://www.negrettivini.com

Frazione Santa Maria 53

12064 La Morra (CN)

Mitglied von Langa Style (http://www.langastyle.com)

Restaurants:

A Casa di Babette

http://www.acasadibabette.it/

Via Isola 2

regione Valle Ghenza

15030 Rosignano Monferrato (AL)

(neben der Cantina Sociale von Rosignano Monferrato),

Bar Roma

Via Roma 16

12058 Santo Stefano Belbo (AT)

Fortsetzung folgt: Weißes Gold und Sterne(küche) im Piemont

Über den Autor*Innen

Tina S. Bernardi

Das Reisen liegt ihr im (multikulturellen) Blut: geboren 1979 in Pori (Finnland) als Tochter einer karelischen Finnin und eines Deutschen mit italienisch-französischen Wurzeln, die soeben aus den Kriegswirren Teherans geflohen waren, aufgewachsen in verschiedenen Regionen Mittel- und Süddeutschlands sowie mehrmonatigen Studien-Aufenthalten in Finnland und Argentinien, lebt Tina Bernardi seit 2012 in Zürich.