Der winterliche Weihnachtstraum wird im Erzgebirge wahr. Schon die Anfahrt, besonders am Spätnachmittag oder Abend durch die kleinen verschneiten Dörfer, ist bezaubernd. In fast jedem Fenster steht ein hell erleuchteter Schwibbogen. Das ist die so typische Weihnachtsdekoration schon seit Jahrhunderten in der heute zum UNESCO-Welterbe gehörenden Region. Nicht nur im Dorf Sayda steht der Schwibbogen sogar in Lebensgröße am Straßenrand.
Das Erzgebirge ist bekannt für seine Handwerkskunst. Hier entstehen aus Holz die schönsten Engelchen, Wichtel, Weihnachtsmänner, Kurrende-Sänger, Sterne und alles, was man mit dem Fest in Verbindung bringt. Die Figuren der ortsansässigen Handwerker finden sich heute in aller Welt, auch online werden sie zu stolzen Preisen auf Reisen geschickt. Die sächsische Region ist durch ihre Handwerkskunst global geworden.
„Schon zu Zeiten des kalten Krieges waren Produkte aus dem Erzgebirge ein Exportschlager“, sagt Heinz Schlenker aus dem nahen Zwickau. „Der DDR-Staat reglementierte die Ausfuhr für Devisen, für uns Bürger blieb ein kleiner Rest übrig.“ Seine Verwandten in Westdeutschland freuten sich über Räucher-Opas, Pyramiden, Nikoläuse und Co. aus dem Osten. Dagegen waren die West-Päckchen, gefüllt mit Kaffee, Schokolade und Feinstrumpfhosen, im Osten begehrt. „Einfach war es nicht. Die Artikel bekamen wir nur über Beziehungen.“ Und die hatte Heinz Schlenker zum Glück. „Geschenke in Richtung Westdeutschland waren auch für uns immer etwas Besonderes. Wir wussten, dass wir damit Freude bereiten können“ Er betrachtet den kleinen Weihnachtsmann auf dem Kaminsims: „Den hat mein Opa im Zweiten Weltkrieg geschnitzt. Alle Enkel bekamen so einen.“ Mit seiner Schnitzkunst trug der Großvater zum spärlichen Familieneinkommen in den harten Kriegswintern bei.
Christlicher Glaube und erzgebirgische Tradition
Über Seiffen, dem Hauptort der erzgebirgischen Handwerkskunst thront die barocke evangelische Bergkirche, die 1779 geweiht wurde. Sie wurde vom sächsischen Barockbaumeister Christian Gotthelf Reuther nach dem Vorbild der Dresdner Frauenkirche errichtet und birgt viele bergbauliche Wahrzeichen aus der Vergangenheit des Städtchens. Die Hälfte der heutigen Bevölkerung Seiffens, rund 1000 Menschen, sind Gemeindemitglieder. „Ich freue mich immer ganz besonders auf den Montag vor dem 1. Advent, denn dann wird unsere Kirche weihnachtlich geschmückt“, sagt Pfarrer Michael Harzer. Der gebürtige Marienberger erzählt, dass seine Vorfahren aus Seiffen stammen. „Pfarrer der Bergkirche zu sein ist meine Lebenserfüllung. Ich bin ein Weihnachtsmensch. Umso schöner ist es, hier ein Stück Familiengeschichte zu leben“, erzählt er, der seit 2005 der Kirche dient.
Zu ihrer Einweihung hatte das Bergamt für die Altarknaben eine Bergmannstracht gestiftet, die noch bis Ende des 19. Jahrhunderts getragen wurde. Die Kirche steht an jener Stelle, wo Bergleute bereits vor 1570 eine Bergkapelle errichtet hatten. Sie birgt zahlreiche Wahrzeichen aus der bergbaulichen Vergangenheit des ehemaligen Minenortes.
Die Mettenlaternen über den rund 500 Sitzplätzen tragen weihnachtliche Szenen aus dem Matthäus- und Lukas-Evangelien, der Kanzelaltar ist typisch für sächsische Kirchen und links und rechts von diesem stehen zwei evangelische Beichtstühlchen, die noch bis ins 19. Jahrhundert hinein genutzt wurden. Der detaillierte und eher bescheidene Tauf-Tisch wurde um das Jahr 1790 geschnitzt und an der gegenüberliegenden Wand sind Engel und Bergmann angebracht. Beide sollen an die Holzschnitzkunst der Region erinnern. „Hier erkennt man genau, wie sehr sich der christliche Glaube mit der erzgebirgischen Tradition verbindet“, ergänzt Pfarrer Harzer.
Die Glaslüster geben Zeugnis vom einstigen Glashüttenwesen der Region, und das alte Zinnkreuz über dem Eingang erinnert an den einst blühenden Zinnbergbau. Mit der Inschrift „Bergknappschaft Seiffen 1688“ stellt das Kruzifix einen der ältesten Belege für das Bestehen der Knappschaft dar.
Vom Bergmann zum Spielzeugmacher
Noch heute ist die Vorstellung verbreitet, dass der Seiffener Bergmann in seiner Freizeit geschnitzt, gebastelt oder gedrechselt habe und daraus die Spielzeugherstellung entstanden sei. Tatsächlich jedoch hatte der Übergang vom Zinnbergbau zum Holzhandwerk und später zur Spielzeugherstellung nichts mit Muße und Freizeit zu tun, sondern war eine Existenzfrage. Denn immer dann, wenn der Bergbau ins Stocken geriet, nahm die Anzahl der Drechsler zu. Mit dem weiteren Verfall des Bergbaus wurde das Drechseln dann zum entscheidenden Beruf. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts wurden neben Gebrauchsgütern zunehmend Spielzeug gefertigt. Diese Entwicklung verursachte einen beträchtlichen Aufschwung, denn in diesen Jahrzehnten wurde die Überzeugung vom Wert des Kinderspiels und Kinderspielzeugs durch das Gedankengut der bürgerlichen Aufklärung erheblich gefördert. Dinge, die eigens für den kindlichen Gebrauch gedacht waren, erlangten zunehmende gesellschaftliche Anerkennung. Das Erzgebirge erlebte einen wahren Run auf seine Spielsachen: Denn die preisgünstigen Erzeugnisse aus dem sächsischen „Spielzeugland“ wurden diesem Anspruch voll gerecht.
Zur Erzgebirgsweihnacht gehört seit Jahrhunderten der Weihrauchduft. Handgeformte Räucherkerzen aus einem Teig von gemahlener Holzkohle, Rotbuchenmehl, Kartoffelstärke und Duftstoffen wurden im Westerzgebirge bereits vor 1800 gefertigt. Das in der Bevölkerung zunehmende Pfeifenrauchen wurde zum Anlass genommen, die duftverströmende Räucherkerze in eine hohlgedrehte Figur zu stellen. Die ersten hölzernen Räuchermännchen mit aus Teig geformten Amen, Füßen und Gesichtern werden für die Zeit um 1850 dem Heidelberger Drechsler Ferdinand Frohs zugeschrieben. Schmauchend, mit der Pfeife im Mund, wurde der Räuchermann bekannt. Heute wird er in alle Welt exportiert.
Viel später, im Jahr 1946, wurden auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration auch im Spielzeuggebiet zahlreiche Betriebe enteignet und volkseigene Produktionsstätten aufgebaut. Beziehungen waren dann das Einzige, was zählte, um an die begehrten Figuren heranzukommen und sie wie Heinz Schlenker an die Lieben nach Westdeutschland zu schicken.
Informationen und Tipps
Übernachtung im historischen Gewölbe: Schlosshotel und Landhaus Purschenstein in Neuhausen unweit von Seiffen.
Die Ritter der Riesenburg, Böhmen erbauten an der von Halle nach Brüx führenden „Salzstraße“ um 1200 die Burg Purschenstein. www.purschenstein.de
Spielzeugmuseum in Seiffen: www.spielzeugmuseum-seiffen.de
Über den Autor*Innen
Sabine Ludwig
Sabine Ludwig ist eine deutsche Journalistin und Reiseautorin, immer auf der Suche nach außergewöhnlichen Storys. So hatte sie die burmesische Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi zum Interview in ihr Haus in Rangun eingeladen. Lauren Baltridge, ehemalige Privatsekretärin von Jackie Kennedy, empfing sie zum Tee in Washington D.C. und Vera Bohle erzählte ihr über ihr riskantes Leben als Minen-Räumerin. Sabine Ludwig wurde in Würzburg geboren und ist dort zur Schule gegangen.