Wein ist weit mehr als nur ein Getränk. Wein ist Kultur und Genuss, er verbindet Menschen und Kulturen. Er kann zugleich auch für Luxus, Lifestyle und soziale Abgrenzung stehen. Immer häufiger spiegelt sich seine Geltung auch in einer ausdrucksstarken Architektur von Weingütern und Vinotheken wider.
Wie eine staufische Trutzburg in den Hügeln Apuliens thront der Turm des Weinguts van Volxem über der Saar bei Wiltringen. Ein Kubus mit einer Kantenlänge von mehr als zehn Metern aus hellem Muschelkalk dominiert den Hingucker. Vom Verkostungsraum in der oberen Etage eröffnet sich durch die Fenster ein phänomenaler Blick auf die umliegenden Weinberge und den sich dahinschlängelnden Fluss. Im Keller verwandelt sich die Burg in eine Kathedrale für Barriquefässer, in der man andächtig innehält. Burgherr und Bischoff zugleich ist Roman Niewodniczanski, einer der schillerndsten Figuren in der deutschen Weinszene. Nicht nur wegen seiner zwei Meter Körperlänge, seinem Haarzopf oder seinem kaum enden wollenden Redefluss. Sondern wegen seiner Herkunft und seines Hangs, besser: seines Drangs zur Perfektion. Niewodniczanski stammt aus der Dynastie der Bitburger Brauerei in der Eifel, die er vor Jahren im Unfrieden verließ und sich fortan anstatt dem Gersten- dem Traubensaft zuwandte.
Aus dem ehemaligen Klosterweingut südlich von Trier machte der rastlose Macher 2019 einen der Leuchttürme in der deutschen Weinbau-Architektur, einen Pilgerort für Ästhetik liebende Weintrinker. Niewodniczanski hat nicht gekleckert, er hat geklotzt. Und wie. Wieviel er dafür investiert hat, möchte er lieber nicht sagen. „Hab ich vergessen“, schmunzelt er. Wir haben das hier nicht gebaut, um zu beeindrucken“, fügt er hinzu. „Sondern um optimal arbeiten zu können. Aber das Praktische und das Schöne müssen sich ja nicht ausschließen.“
Wein gibt es heute an jeder Ecke. Im Supermarkt, beim Discounter, natürlich in der klassischen Weinhandlung, online und auch an der Tankstelle. Vinotheken kommt eine besondere Rolle zu. Sie sind mehr als bloße Verkaufsstätten, schaffen eine Kommunikationsplattform, auf der sich Weinkenner (und solche, die sich dafür halten) nach Herzenslust austoben können. Da wird entkorkt, probiert, geschlürft und gefachsimpelt. Hin und wieder werden beim Winzer auch schon mal die Grenzen ihrer Contenance getestet („Grauburgunder mag ich gar nicht, ich trinke am liebsten Pinot Grigio.“ Was in der Aussprache dann häufig als „Grittscho“ rüberkommt.) Der gemeine Weintrinker kauft im Supermarkt oder beim Discounter, der andere lieber direkt beim Winzer. Für viele Besserschlürfer fühlt sich das einfach ein bisschen distinguierter, ein bisschen erhabener, kurz: bisschen stimmiger an. Direktverkauf ist für den Winzer zwar aufwendiger, dafür erzielt er eine deutliche bessere Marge als beim Verkauf über die Gastronomie oder den Handel. Und er hat einen unmittelbaren Kontakt zum Endkunden.
„Wein ist Kultur, Wein ist Erlebnis“, sagt auch Edda Kurz, Vizepräsidentin der Architektenkammer Rheinland-Pfalz. Die Kammer lobt seit etlichen Jahren einen eigenen Architekturwettbewerb in Sachen Wein aus. Das Deutsche Weininstitut mit Sitz in Bodenheim bei Mainz zeichnet zudem alle fünf Jahre Deutschlands schönste Vinotheken aus. Wie ein roter Faden zieht sich in der neuen Weinarchitektur ein minimalistisches, luftiges und Design. „Weniger ist mehr“, lautet das Credo, gepaart mit Mut zur Kombination unterschiedlichster Materialien wie Holz, Metall, viel Glas und Sichtbeton. Vorbei sind die Zeiten dunkler, eichenholzgetränkter Probierstuben mit dem Charme von Gelsenkirchener Barock. Van Volxem ist sicher ein herausragendes Beispiel für einen neuen Stil in der Weinszene. Was sich immer häufiger auch im Glas wiederfindet – frisch, modern, manchmal auch ein bisschen verrückt und abenteuerlustig – drückt sich zunehmend auch in der Weinarchitektur aus. Roman Niewodniczanski mag Zopf tragen, viele andere Zöpfe haben er und seine Kollegen in den letzten Jahren abgeschnitten.
Etwas gänzlich Neues auf die buchstäblich grüne Wiese zu stellen wie Van Volxem ist in der aktuellen Weinarchitektur aber eher die Ausnahme. Viel häufiger sieht man dagegen die Kombination aus gewachsen Historischem und einem harten Gegenspieler. So wie bei Annette Closheim in Langenlonsheim an der Nahe. Die quirlige Winzerin entkernte ein heruntergekommenes, 300 Jahre altes Fachwerkhaus. „Das war die frühere Scheune eines Viehhändlers“, lacht sie. Die Scheune hat sie in ein Juwel an Fachwerk zurückverwandelt, mit einem Feuerwerk an freigelegten uralten Holzbalken. Direkt daneben setzte sie einen minimalistisch gehaltenen Kubus, in dem Sichtbeton und Stahl die dominierenden Elemente sind. Mehr Kontrast auf kleinem Raum geht kaum. Ähnliches erlebt man im Weingut Kühner-Adam in Mehring an der Mosel, das für seine „Vinothek am Flusskilometer 174“ einen lichtdurchfluteten Kasten aus Glas unmittelbar neben einem 120 Jahre alten Haus aus Schiefer setzte. Der transparente Bau schafft einen nahtlosen Übergang vom historischen Hauptgebäude hinein in die unmittelbar anschließenden Weinberge.
Auch im Weingut Cantzheim in Kanzem, wie van Volxem im rheinland-pfälzischen Teil der Saar zu Hause, stößt man auf harte Kontraste. Weingutchefin Anna Reimann erweiterte das ehemalige Barockkloster an beiden Seiten auf höchst unterschiedliche Art um zwei sehr unterschiedliche Gebäude: links eine lichtdurchflutete, in den Himmel strebende, gotisch anmutende Orangerie, die in der warmen Jahreszeit gerne für Trauungen genutzt wird. Und rechts als absoluter architektonischer Kontrast ein Gästehaus aus gestampftem Lehm. Von außen wirkt es eher abweisend, im Innern dagegen entfaltet es einen überraschend hellen und freundlichen Charme. Anna Reimann weiß um die Anziehungskraft und damit der Werbewirksamkeit des Ensembles. „Die eine Hälfte unserer Besucher kommt wegen des Weins, die andere wegen der Architektur“, hat sie festgestellt.
Auf einen liebevollen Gegenpol trifft man nur gut fünf Minuten später auf ein anderes architektonisches Highlight in der Weinszene. Das Weingut von Othegraven ist in der breiten Öffentlichkeit nicht allzu bekannt, sein Eigentümer dagegen schon: der „Wer wird Millionär“-Millionär Günther Jauch. Dessen Großmutter war eine geborene von Othegraven, letzter Eigentümer des weiträumigen Guts seine Tante. 2010 übernahmen der Quizmeister und seine Frau Thea den Betrieb mit seinen herrschaftlichen Gebäuden und einem wunderschönen kleinen englischen Landschaftsgarten mit mehr als 100 Jahren alten Bäumen. Ihren Verkostungsraum für Gruppen haben die Jauchs 2020 in einem großen, lichtdurchfluteten, stilvoll umgebauten alten Gewächshaus und einer benachbarten Garage untergebracht.
Wer es noch schnuckeliger mag, gewissermaßen das genaue Gegenstück zur Stauferburg van Volxem, der muss zum Weingut Weingart in Spay am Mittelrhein bei Boppard. Mitten in seine Weinberge hat Florian Weingart als Vinothek einen großen umgebauten Bauwagen mit angegliederter Terrasse gesetzt. Einen Bauwagen, wie man ihn in anderer Funktion von Waldkindergärten kennt. Der Wagen ist Teil eines architektonischen Gesamtkunstwerks. Direkt nebenan hat Weingart seinen Keller teilweise in den Berg hineingegraben, eine dicke Humusschicht darauf gelegt und üppig begrünt. Das grüne Weinkellerdach ist ein öffentlicher Picknickplatz, der bei schönem Wetter gut frequentiert ist und einen wunderbaren Ausblick auf den Rhein bietet. Über dem Picknickplatz steht ein kleines Massivholzhaus, der Heimat von Familie Weingart. Das bietet zwar nur gut 100 Quadratmeter Wohnraum. „Aber das reicht uns“, meint Florian Weingart in all seiner bodenständigen Bescheidenheit. Mehr Unterschied zu Roman Niewodniczanski ist kaum denkbar.
Über den Autor*Innen
Klaus Pfenning
Klaus Pfenning wuchs am Rande des Odenwalds auf – und damit eher mit Apfelwein. Erst im frühen Erwachsenenalter wurde ihm bewusst, dass sich auch aus anderen Früchten wunderbare Weine herstellen lassen. Vor allem aus Trauben, weißen wie roten. Vor 30 Jahren verlegte der Naturliebhaber seinen Lebensmittelpunkt an die Badische Bergstraße. Von dort aus kann er nicht nur den heimischen Winzern bei der Arbeit zuschauen. Sondern auch hinüberblicken in die Pfalz und nach Rheinhessen. Dem wachsenden Interesse am Wein konnte das nicht schaden.