La Rioja ist die kleinste Region auf dem spanischen Festland. Aber eine sehr feine, die Besucher nicht nur mit gutem Roten verwöhnt. Sondern auch mit landschaftlicher Vielfalt, Kunst und Kultur.
Wetten dass? Dass jeder Weinliebhaber schon einmal einen Rioja im Glas hatte? Und zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit einen roten. Dass aber auch beim Geographie-Ratespiel, wo diese berühmte Weinbaugegend denn überhaupt liegt, viele scheitern werde? In Spanien halt, werden die meisten sagen. Richtig. Aber wo genau? Streng genommen ist sie gar nicht so weit von uns entfernt. Von der Grenze zu Frankreich am Atlantik sind es, vorbei an Pamplona, nur gut zwei Autostunden Richtung Südwesten bis zur Hauptstadt Logrono.
La Rioja im Nordosten der iberischen Halbinsel ist mit nur 5.000 Quadratkilometern die kleinste Region auf dem spanischen Festland. Und eine ausgesprochen ländliche dazu. Von den rund 300.000 Einwohnern leben allein die Hälfte in Logrono. Die beschauliche Universitätsstadt am Südufer des Ebro ist zugleich der ideale Ausgangspunkt, um in längstens einer Stunde Autofahrt nahezu alle Sehenswürdigkeiten der Gegend zu erreichen. Auch Logrono selbst ist einen Tag und vor allem einen Abend wert. Mit seinem Gewirr alter Gassen, lauschigen Plätzen und zahlreichen Kirchen verströmt das Zentrum den Charme unaufgeregter Gelassenheit. Die Stadt ist zugleich Etappenort am Jakobsweg. Genaugenommen: dem Camino Frances, der sich, von den Pyrenäen kommend, weiter nach Westen in Richtung Burgos schlängelt. Insgesamt 60 Kilometer führt der berühmteste aller Caminos durch die fruchtbare Hügellandschaft der dünn besiedelten Rioja.
Ein unbedingtes Muss im abendlichen Logrono ist ein Bummel durch die Calle Laurel im Herzen der Stadt – einer „Fressgasse“, in der sich eine kleine Bar an die nächste reiht. Gegessen wird hier nur eines: Pintxos, einer Art „Tapas de luxe“. Pintxos sind kleine Kunstwerke regionaler Spezialitäten, deren Bestandteile meist von einem kleinen Holzspieß zusammengehalten werden und die aus der Hand gegessen werden. Kulinarisch zählt die Rioja, passend zum Wein, ohnehin zu den besten Gegenden Spaniens. Bestellt wird direkt am Tresen gegessen, solange man Appetit hat. Ein Pintxo, ein Glas Wein – und weiter geht es zur nächsten Bar gleich nebenan. Bis weit nach Mitternacht verwandelt sich die tagsüber verschlafene Calle Laurel in einen Hotspot spanischer Lebenslust, in dem allem Einheimische, aber auch Pilger und „normale“ Touristen in Feierlaune sind. Wie jede andere Großstadt gibt es auch in Logrono größere Industriegebiete. Nicht unbedingt erwarten würde man dort allerdings ein Museum für moderne Kunst, gestiftet vom schwäbischen Unternehmer Reinhold Würth.
Eine weitere Pflichtstation für jeden Pilger ist Santo Domingo de la Calzada eine halbe Autostunde weiter westlich. Hauptsehenswürdigkeit des ansonsten schmucklosen Orts ist die wuchtige Kathedrale, wo – in der klerikalen Welt vermutlich einzigartig – seit Alters her eine Henne und ein Hahn in einem großen Käfig leben. Die ungewöhnlichen Bewohner gehen auf eine Legende aus dem Mittelalter zurück. Zwei gebratene Hühner auf dem Teller eines Richters flatterten angeblich ausgesprochen quicklebendig davon und retteten so einem jungen Pilger, der wegen angeblichen Diebstahls bereits zum Tode verurteilt war, das Leben.
Für Feinschmecker und Feinschläfer interessant: in Santo Domingo gibt es die beiden einzigen Paradores der Region Rioja. Eine der staatlichen Luxusherbergen ist die historische Pilgerherberge direkt an der Kathedrale, die andere ein ehemaliges, stattliches Kloster.
La Rioja gilt als die beste Weinbauregion Spaniens. Bekannt ist sie vor allem für ihre roten, überwiegend aus der Tempranillo-Rebe gekelterten Gewächse. Auf gut 60.000 Hektar werden die kleinen, knorrigen Reben angebaut. Zum Vergleich: Die Fläche ist damit etwa dreimal so groß wie die in der Pfalz. 250 Weinkellereien (Bodegas) erzeugen pro Jahr rund 250 Millionen Liter Wein – vom einfachen Tropfen, der beim Discounter für wenig mehr als zwei Euro die Flasche zu haben ist, bis zum Spitzengewächs für mehrere hundert. Die Zahl der Kellereien und die Menge des Weins machen deutlich, dass spanische Produzenten in ganz anderen Dimensionen produzieren als deutsche. Nur einen kleinen Teil der Weinberge bewirtschaften sie selbst, den überwiegenden Teil der Trauben kaufen sie zu.
Haro, 40 Autokilometer nordwestlich von Logrono, ist die Weinhauptstadt der Region. Eine große Bodega reiht sich hier an die nächste, insgesamt sind fast hundert. Überraschen darf dies nicht, schließlich bieten hier die Böden und das Mikroklima in der etwas höher gelegenen Rioja Alta beste Bedingungen für hochwertige Weine. Zum Glück nur mindere Qualität kommt zum Einsatz, wenn sich die Kleinstadt Ende Juni in einen Ort spätrömischer Dekadenz verwandelt. Zur Ehre des heiligen Felice bespritzen sich unzählige Festgäste bei der „Batalla del Vino“, der berühmt-berüchtigen Weinschlacht von Haro, mit insgesamt etwa 100.000 Litern Rotwein – ein Vergnügen der reichlich gewöhnungsbedürftigen Art.
Eines der kleineren, aber zugleich eines der feinsten Weingüter in der Rioja ist die Bodega RODA in Haro. Der Name leitet sich von den beiden Gründern Mario Rotland und Carmen Daurella ab. Auf 150 Hektar erzeugen die beiden Qualitätsfanatiker 300.000 Flaschen Wein, und zwar ausschließlich roten. Keine der Reben ist jünger als 20 Jahre. Und alle Gewächse werden ausnahmslos in Barriquefässern aus französischer Eiche ausgebaut. „Wir haben uns ganz bewusst gegen die amerikanische Eiche entschieden“, betont Carmen Daurella, deren Noten seien für ihre Weinstilistik einfach zu dominant. Unter 15 Euro pro Flasche geht hier nichts über den Tresen, der teuerste wechselt für stolze 130 den Besitzer. Dafür bekommt man mit dem „Cirsion“ einen tiefdunklen, dichten und hocharomatischen Trunk ins Glas, der eher einem Konzentrat als einem Saft ähnelt. Für ihr Spitzenprodukt verwenden Rotland und Durella ausschließlich ihre besten Trauben aus den besten Parzellen.
Von Haro lohnt ein Abstecher zum nur wenige Kilometer entfernten Weinmuseum der Bodega Vivanco in Briones. In dem großen, futuristisch gestalteten Privatmuseum erfährt man viel nicht nur über den Weinbau in der Region. Wein und Geschichte, Wein und Archäologie, Wein und Kunst, Wein und Religion – das Museum nimmt einen mit auf eine höchst informative und spannende Reise durch die sehr vielfältige Welt des vergorenen Traubensafts und seiner Bedeutung für viele andere Bereiche unseres Lebens. Allein schon den Eintrittspreis wert ist die weltweit größte Sammlung von Korkenziehern. Über 3.000 Stück gibt es bei Vivanco zu sehen, aus allen möglichen Materialien, in allen möglichen Formen und Größen.
Im Süden der Rioja, in der Sierra de la Demanda, enden die Reben, stattdessen ragen die Berge bis auf mehr als 2.200 Meter empor. An den Hängen des höchsten Gipfels, des Pico San Lorenzo, kann man im Winter sogar Ski fahren. Nicht weit davon liegen, nur einen großen Steinwurf voneinander entfernt, die Klöster Suso und Yuso. Beide sind sie seit Mitte der neunziger Jahre Unesco-Weltkulturerbe – und könnten doch unterschiedlicher nicht sein. Suso ist das ältere von beiden, hervorgegangen im 4. Jahrhundert aus der Höhle einer Einsiedelei. Heute stehen dort nur noch Mauerreste. Dafür ist das große, repräsentative und reichhaltigst ausgestattete Yuso bis heute ein aktives Kloster mit aktuell einem Dutzend Augustinermönchen – und einem Vierhotel. Gut schlafen, essen und trinken kann man in der Rioja also auch im Kloster.
Über den Autor*Innen
Klaus Pfenning
Klaus Pfenning wuchs am Rande des Odenwalds auf – und damit eher mit Apfelwein. Erst im frühen Erwachsenenalter wurde ihm bewusst, dass sich auch aus anderen Früchten wunderbare Weine herstellen lassen. Vor allem aus Trauben, weißen wie roten. Vor 30 Jahren verlegte der Naturliebhaber seinen Lebensmittelpunkt an die Badische Bergstraße. Von dort aus kann er nicht nur den heimischen Winzern bei der Arbeit zuschauen. Sondern auch hinüberblicken in die Pfalz und nach Rheinhessen. Dem wachsenden Interesse am Wein konnte das nicht schaden.