Es ist eine angenehme Wanderung, bei der auch Radfahrer auf ihre Kosten kommen. Einmal in Gemünden am Main angekommen führt der bequeme Fuß- und Radweg nach vier Kilometern zum Franziskaner-Kloster Schönau am Ufer der fränkischen Saale. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts wurde in dieser blühenden Auenlandschaft ein Zisterzienserinnenkloster gegründet, das nach Kriegswirren und Zerstörungen 1564 wieder aufgegeben werden musste.
Die Wandergruppe trifft Bruder Tobias Matheis in der Klosterkirche. Bei der Kirchenführung erfahren sie von den 57-Jährigen, dass das zerfallene Kloster 1699 durch Franziskaner-Minoriten im Barockstil restauriert wurde. Viel zum Erhalt hat damals Architekt und Stuckmarmorierer Bruder Kilian Stauffer beigetragen. Der Schweizer trat bereits mit 20 Jahren in das Franziskanerkloster in Würzburg ein, um hier das Kunstschreinerhandwerk zu lernen. Als begabter Klosterbruder und Künstler arbeitete er auch am Hochstift Würzburg und an der Wallfahrtskirche Fährbrück. 1699 bezog der Barock-Künstler schließlich die Klosterruine Schönau mit einem neuen Auftrag: Die Erneuerung des kleinen Gotteshauses. Dieses wurde am 27. Juni 1710 als Barockkirche geweiht.
Das Kleine im Alltag heiligen
Bekannt als Wallfahrtsort war die Kirche schon seit 1704, nämlich als die Reliquien der Heiligen Viktor und Antonin aus den römischen Katakomben nach Schönau überführt wurden. Bruder Tobias weist auf die glanzvolle Figurengruppe im Kirchenschiff hin: „Sie entstand um 1500 aus der Riemenschneider-Werkstatt.“
Der Brauer bietet Tagesseminare und Wanderungen zum Thema „Bier und Spiritualität“ an. Dabei geht es oft auch um das Leben im Jetzt und die nicht immer selbstverständliche Dankbarkeit für unser Dasein. Der gelernte Krankenpfleger, der an zwei Tagen in der Woche in der Würzburger Straßenambulanz Wohnungslose betreut, beschäftigt sich auch mit der Frage, was Kirche denn überhaupt ist. Den Gottesdienst im Freien zu halten sei manchmal viel effizienter als das Hochamt selbst im Gotteshaus. „Begegnen wir Gott denn nicht erst recht im banalen Suchen nach dem Sinn des Lebens?“ fragt er. „Das Kleine im Alltag heiligen, denn auch dort wird Gott Dich finden.“ Der gebürtige Pfälzer beschäftigt sich immer wieder auch mit den ganz existenziellen Fragen: „Das Leben als solches darf auch gefeiert werden.“
Auch Themen zum „entgrenzten Gott“ lassen ihn nicht mehr los. Die bringt er auch gerne bei einer Klosterbier-Probe mit ein. „Für so einen Gott mache ich mich auf dem Weg, der keine Grenzen kennt und der auch kein Erbsenzähler ist.“ Das Wunder Jesus, die Wandlung von Wasser in Wein, da ist vieles schief gelaufen. Denn war es nicht zu jener Zeit Gesetz, sich mit Wasser zu waschen? Der Wein in den Wasserkrügen war dazu nämlich nicht bestimmt. Jesus wurde schon damals als Rebell gesehen, einer, der weg muss. Grundlage seiner Theorien fand er in dem Buch „Der entgrenzte Gott“. „Als ich das las, ging mein Herz auf!“ Bruder Tobias nickt zustimmend. „Da erkannte ich auch, dass Jesus den erhängten Judas nach seinem Selbstmord ins Paradies getragen hat. Das ist für mich ‚unser Gott‘.“ Kritisch sei er immer wieder, wenn er sagt, dass jeder die Bibel vorsichtig lesen sollte, denn da stehe viel drin, was Gott gar nicht gesagt hatte.
Durchs Bier hindurchschauen
Die Berufung zum Priester hat Bruder Tobias nie verspürt. „Ich habe meinen Glauben, ich weiß, für wen ich mich auf den Weg mache.“ Nach der Kirchenführung beginnt die Bierprobe. „Das Spirituelle kann man nicht ausgrenzen. Mit einem guten Bier kann ich Gott auch entdecken. Wenn ich durch den Gerstensaft hindurchschaue, sehe ich viel mehr als nur das Rauschgetränk.“ Alkohol begleite die Menschheit seit Tausenden von Jahren. „Wenn Gott nicht möchte, dass ich Bier trinke, dann hätte er die Gerste nicht so wundervoll wachsen lassen“, philosophiert der Franziskaner-Bruder. „Mit diesem Gedanken trinkt man Bier doch gleich viel bewusster“, sinniert Gerhard Schüssler aus Gemünden, Mitglied der Wandergruppe.
Bruder Tobias weiß noch eine ganze Menge zum Thema Bier und Glauben: „Die Ehefrau von Martin Luther, Katharina von Bora, war selbst Bierbrauerin und verköstigte ihren Mann, seine Studenten und Gäste. Im Kirchenschiff selbst sind der Heilige Michael auf der einen und der Heilige Georg auf der anderen Seite abgebildet. „Vom Georgstag im April bis zum Michaelstag im September war es verboten, Bier zu brauen. Das war schon recht schlau, denn in den Sommermonaten konnte der Gerstensaft nicht gekühlt werden und verdarb viel zu schnell.“ So entstanden später die Felsenkeller, da die Menschen auch in der heißen Jahreszeit Bier trinken wollten. Der Stellvertreter des Kloster-Leiters dient mittlerweile vier Jahre im Kloster Schönau, gerne möchte er noch einmal verlängern. Insgesamt gibt es in der idyllischen Kommunität fünf Brüder – zwei davon aus Indien, vier haben die Priesterweihe.
„Wir Franziskaner bleiben nicht am gleichen Kloster bis zu unserem Lebensende“, erklärt er. „Eigentlich sollte eine Ordensgemeinschaft mit dem Gründer untergehen. Alles, was danach kommt, ist ja anders“, sinniert der Endfünfziger. Auch gegen Frauen in Kirchenämtern hätte er nichts einzuwenden. Dann holt er das nächste Fläschchen, ein Weißbier, untergärig und unfiltriert. „Und bestimmt gesünder als herkömmliches Bier“, lacht Bruder Tobias und seine Besucher stimmen ihm zu. Wie schön, mal eine Bierverkostung mit sinnigen Sprüchen, Gedankenanregungen und Zeit zum Nachdenken zu verbringen. Für Nicht-Biertrinker stehen Apfelsaft und Wasser bereit.
Das Kloster Schönau-Programm für die Sommermonate hat viel zu bieten...
Über den Autor*Innen
Sabine Ludwig
Sabine Ludwig ist eine deutsche Journalistin und Reiseautorin, immer auf der Suche nach außergewöhnlichen Storys. So hatte sie die burmesische Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi zum Interview in ihr Haus in Rangun eingeladen. Lauren Baltridge, ehemalige Privatsekretärin von Jackie Kennedy, empfing sie zum Tee in Washington D.C. und Vera Bohle erzählte ihr über ihr riskantes Leben als Minen-Räumerin. Sabine Ludwig wurde in Würzburg geboren und ist dort zur Schule gegangen.