Wir schreiben das Jahr 2000 nachdem die Römer den Weinbau nach Germanien gebracht hatten. Der ganze Rheingau ist von Riesling besetzt, Franken von Silvaner, Rheinhessen von Scheurebe. Der ganze Rheingau, ganz Franken, ganz Rheinhessen? Nein! Einige aus Gallien stammende Rebsorten haben sich unter die Platzhirsche gemischt und bringen auch hierzulande hervorragende Qualitäten hervor. Genau genommen stammen die Reben aus Burgund und heißen Weißburgunder und Grauburgunder, Frühburgunder und Spätburgunder, Chardonnay und in Ausnahmefällen auch Auxerrois.
Burgunderinsel Ingelheim
Die Reise in die Welt des deutschen Burgunderwunders beginnt in der Nähe von Mainz. Dort, wo die Anbaugebiete Rheinhessen, Nahe, Rheingau und Mittelrhein nur ein paar Weinberge auseinanderliegen. Hier gilt Ingelheim, rund 20 Kilometer westlich von Mainz, seit jeher als rheinhessische Rotweininsel. Genaugenommen: Spätburgunderinsel. Ingelheim liegt am nördlichen Ende des Mainzer Beckens, vor Jahrmillionen einem flachen Meer mit großen Kalkablagerungen von Fischen, Muscheln und Schnecken. Und Burgunder lieben Kalk.
„Wir haben hier in etlichen Lagen burgundische Verhältnisse“, schwärmt Dr. Simone Adams vom gleichnamigen Weingut Adams. Die promovierte Weinwissenschaftlerin muss es wissen, lag doch ihr Schwerpunkt an der Hochschule Geisenheim auf der Bodenkunde. Adams bewirtschaftet ihre gut 11 Hektar ausschließlich mit Burgundern: Weißburgunder, Grauburgunder, Spätburgunder, Chardonnay. Und zwar biodynamisch.
Bereits vor mehr als 100 Jahren war Ingelheim vor allem durch seine Spitzenlage Pares weltweit bekannt. In einem Filetstück dieser Lage hat auch Simone Adams Reben. „Wir arbeiten heute noch nach den gleichen Prinzipien wie damals“, sagt sie: „Herkunft und Handwerk.“ Spontane Maischegärung samt Rappen, 18 Monate Ausbau in gebrauchten Barriques, keine Filtration, keine Schönung. Simone Adams‘ Pares steht für eine Aromenexplosion in der Nase und zu einer Geschmacksexplosion auf dem Gaumen. Seit der Betriebsübergabe 2010 hat das Weingut ohnehin eine steile Entwicklung hingelegt. Ebenfalls auf hochwertige Burgunder spezialisiert hat sich in Ingelheim das Weingut Neus.
Rheingau: Von den Zisterziensern bis zur Wilden Katze
Keine 20 Kilometer weiter nördlich, im Rheingau, gibt es nur wenig Kalk. Dafür Löß, Lehm, Schiefer und Quarzit, perfekt für den Anbau von Top-Rieslingen. „Da geht aber noch mehr“, war vor 25 Jahren der Hamburger Unternehmer Günter Schulz überzeugt. Der finanziell gut aufgestellte Weinliebhaber und -sammler hatte die durchaus spleenige Idee, mitten im Rheingau ein Weingut wie im Burgund aufzubauen. Ein Weingut, in dem nur Pinot Noir alias Spätburgunder und Chardonnay angebaut werden sollte. Benannt hat er das neue Weingut in Anlehnung an seine damals kleinen Enkelinnen, die damals im Garten herumtollten „wie wilde Katzen“: Chat Sauvage.
Mit Verena Schöttle fand Schulz 2016 eine kongeniale Betriebsleiterin, die seine Philosophie teilte. „Wir wollen kein burgundisches Weingut kopieren, aber wir wollen arbeiten wie im Burgund“, beschreibt sie die Gratwanderung. Soll heißen, mit viel Zeit und dem Einsatz von Holz. Gut sieben über den Rheingau verteilte Hektar bewirtschaftet die gebürtige Schwäbin. Gearbeitet wird ausschließlich mit der Hand. Die Preisliste für die Pinot Noirs und Chardonnays startet bei 25 Euro.
Auch das größte Weingut der Republik, die Hessischen Staatsweingüter in Kloster Eberbach, hat mehr als nur Rheingau-Riesling im Programm. Schon vor 900 Jahren wussten die Zisterziensermönche dort, dass sich in den kühleren Seitentälern des Rheins exzellente Rotweine produzieren lassen. Diese finden sich vor allem im Westen des Rheingaus, vor allem bei Assmannshausen und Lorch. Zudem übersehen selbst erfahrene Weintrinker meist, dass es mit der Domaine Bergstraße in Heppenheim noch einen 30 Hektar großen Ableger der Hessischen Staatsweingüter gibt. Einen, der in erster Linie auf Weißburgunder, Grauburgunder und Chardonnay setzt und eine Reihe von Monopol-Lagen sein eigen nennt. Die Domaine Bergstraße ist das einzige VDP-Weingut im mittlerweile zweitkleinsten deutschen Weinanbaugebiet.
Churfranken: Roter Wein auf rotem Stein
Kaum 100 Autokilometer weiter östlich des Rheingaus beginnt bereits das Anbaugebiet Franken. Franken? Silvaner, klar! Aber nicht unbedingt in Churfranken, dem Streifen zwischen Aschaffenburg und Wertheim. Silvaner gibt es dort, natürlich, auch. Bekannt ist die Region aber für seine roten Burgunder, vor allem für Spätburgunder und ein bisschen Frühburgunder. Paul und Sebastian Fürst in Bürgstadt zählen unbestritten zu den besten Rotweinerzeugern Deutschlands, ihre Spätburgunder müssen den Vergleich mit der Elite im Burgund nicht scheuen.
Auf den roten Sandsteinböden zwischen Spessart und Odenwald erzeugen weitere, nicht ganz so bekannte Winzer wie die Fürsts hervorragende Burgunder mit einem guten Preis-Leistungsverhältnis: Stich und Hench etwa, beide ebenso im Rotweinparadies Bürgstadt, Kremer in Großheubach, Giegerich in Großwallstadt oder das Weingut Stein, dem früheren Weingut der Stadt Klingenberg. In Bürgstadt findet sich zudem eine Perle unter den deutschen Sektherstellern: das Sekthaus BurkhardSchür. Laura Burkhard und Sebastian Schür besitzen zwar keine eigenen Trauben, sondern kaufen ausschließlich zu. Und zwar allesamt aus der Burgunderfamilie. Aus den Champagner-Reben Pinot Noir (Spätburgunder), Pinot Meunier (Schwarzriesling) und Chardonnay zaubern sie mit viel Zeit auf einem jahrelangen Hefelager, der genauso gut schmeckt wie seine Artgenossen aus dem Osten Frankreichs. Das Besondere dabei: die Grundweine stammen aus gleich drei Anbaugebieten, nämlich aus Franken, Württemberg und Baden.
Main Franken: Die Burgunder werden zunehmend weiß
Und auch weiter mainaufwärts stoßen Weinliebhaber nicht nur auf Silvaner, sondern auf gute Burgunder. Und zwar überwiegend weiße. Muschelkalk und Keuper haben in diesem Teil Frankens den roten Sandstein Churfrankens abgelöst. Einen „exzellenten Ausreißer“ kultiviert Klaus Höfling aus Eußenheim: einen Frühburgunder, quasi der „launischen Diva“ unter den Burgundern. „Nicht nur Vögeln, auch Insekten schmecken diese Trauben“, erzählt Höfling. Entsprechend gering sind auch die Erträge. Für den Ausbau reichen ein, manchmal auch zwei Barriquefässer. In den Verkauf kommt der frühe Burgunder für 38 Euro die Flasche. „Wer sagt, dass ihm dies zu teuer ist: damit habe ich kein Problem“, sagt der Winzer. „Dann trinke ich den Wein einfach selbst.“
Christine Pröstler aus Retzbach setzt durchgehend auf weiße Burgunder. Einen Chardonnay aus dem Benediktusberg mit seinen kargen Muschelkalkböden verwandelt sie in einen Extra Brut-Sekt, der nach einem zweiten Glas verlangt. Ihre spontan vergorenen Burgunder-Stillweine präsentieren sich klar, puristisch, zupackend, mit viel Grip. Pröstler zählt zu den Aufsteigern in Franken, Rudolf May dagegen zu den Granden. Hinter dem Silvaner sind die Burgunder mit einem Anteil von aktuell 17 Prozent die Nummer zwei im Rebsortenspiegel. Und dieser Anteil soll noch weiter steigen, sagt May, vor allem durch den Anbau von Chardonnay und Spätburgunder. Auch für Nicolas Frauer vom Juliusspital in Würzburg hat die Burgunder auf dem Radar, zumal er sein Handwerk auch im Burgund gelernt hat. „Burgunder und Silvaner nähern sich bei den Top-Erzeugnissen in ihrer Stilistik immer mehr an“, ist er überzeugt.
„Silvaner Heimat“ haben sich die fränkischen Weinwerber auf ihre Fahnen geschrieben. Was insofern nicht ganz stimmt, weil die Rebe ursprünglich aus Österreich stammt, auf drei Viertel der fränkischen Rebflächen kein Silvaner wächst und sein größtes Anbaugebiet in Deutschland nicht Franken, sondern Rheinhessen ist. Egal, Franken und Silvaner gehören zusammen wie Würzburg und die Alte Mainbrücke. Ein Ausflug in die andere Welt des Frankenweins aber lohnt sich. In die Welt der Burgunder.
Deutsches Burgunderwunder
Deutschland ist nicht nur beim Anbau von Riesling weltweit führend. In kaum einem anderen Land der Welt wachsen so viele Burgundersorten wie hierzulande. Burgunder stehen auf rund 32.000 Hektar und damit auf rund einem Drittel der deutschen Rebfläche. Beim Weißburgunder sind die deutschen Winzerinnen und Winzer sogar weltweit führend, bei Spät- und Grauburgunder sind sie die drittgrößten Erzeuger.
Eine besonders starke Dynamik gab es in den letzten Jahren beim Anbau der weißen Burgundersorten, deren Rebflächen sich seit der Jahrtausendwende auf gut 18.000 Hektar verdreifacht haben. Im mild-kühlen deutschen Klima finden die Burgundersorten hervorragende Wachstumsbedingungen. Dank der sehr unterschiedlichen Terroirs von Baden bis zur Ahr und von der Mosel bis nach Sachsen bringen sie außergewöhnlich vielfältige Weine hervor.
Neben den Klassikern Weißburgunder, Grauburgunder, Chardonnay und Spätburgunder zählen auch die bei uns weniger bekannten roten Sorten Schwarzriesling (Pinot Meunier), Frühburgunder und St. Laurent sowie der weiße Auxerrois zur Familie.
Über den Autor*Innen

Klaus Pfenning
Klaus Pfenning wuchs am Rande des Odenwalds auf – und damit eher mit Apfelwein. Erst im frühen Erwachsenenalter wurde ihm bewusst, dass sich auch aus anderen Früchten wunderbare Weine herstellen lassen. Vor allem aus Trauben, weißen wie roten. Vor 30 Jahren verlegte der Naturliebhaber seinen Lebensmittelpunkt an die Badische Bergstraße. Von dort aus kann er nicht nur den heimischen Winzern bei der Arbeit zuschauen. Sondern auch hinüberblicken in die Pfalz und nach Rheinhessen. Dem wachsenden Interesse am Wein konnte das nicht schaden.