Viel Genuss am kleinen Fluss

Viel Genuss am kleinen Fluss - An der Tauber gibt es für Genussfreaks viel zu entdecken - (c) Jörg Bornmann

Ungewöhnliche Weine, kleine Brauereien, feinste Obstbrände, unreifer Dinkel und Schneebälle, die man essen kann. Links und rechts des kleinen Flüsschens Tauber im Grenzgebiet von Baden-Württemberg und Bayern gibt es kulinarisch einiges zu entdecken.

Der Wein
Etwa 100 Kilometer lang ist das Taubertal zwischen Rothenburg und der Mündung des Flüsschens in den Main bei Wertheim. Im Mittelalter wuchs an den Ufern fast überall Wein, heute sind es noch 1.100 Hektar. Und die verteilen sich über gleich drei der 13 deutschen Anbaugebiete: Franken, Württemberg und Baden. Vertreten werden sie – einmalig in der deutschen Weinwelt – von einer gemeinsamen Weinkönigin: Michaela Wille vom gleichnamigen Weingut im Tauberbischofsheimer Stadtteil Dittwar, also in Baden. Auch für Franken und für Württemberg zu stehen, ist für die junge Winzerin kein Problem. „Hier in der Region liegen alle Gebiete ziemlich abseits und sind daher ein bisschen Exoten“, lächelt sie. „Deswegen fühlen wir uns hier in erster Linie als Taubertäler, egal wo wir offiziell dazugehören.“

Die höchstgelegenen Weinberge liegen in Rothenburg ob der Tauber direkt unterhalb der Stadtmauer. Winzer und Gastronom Albert Thürauf hat dort in einem steilen Schauwingert 140 alte Rebsorten angepflanzt, die längst schon in Vergessenheit geraten sind. Und betreibt damit auf 400 Metern über dem Meer ein wichtiges Stück Landschaftspflege. 30 Sorten baut er in seinem Weingut selbst aus, darunter so Exoten wie Vogelfränkisch, Süßschwarz oder Blauer Affenthaler. Genauso traditionell wie seine Rebsorten ist auch seine Kellertechnik. „Ich mache Weine wie früher“, sagt der 59-Jährige. Wohlwissend, dass sie nicht jedem schmecken. Aber das ist ihm egal. „Local Hero“ im Taubertal ist der Tauberschwarz: eine Rotweinsorte, die aus der Region stammt und auch nur dort angebaut wird. Große Gewächse darf man von ihr nicht erwarten. Ähnlich wie der württembergische Trollinger gilt der Tauberschwarz eher als unkomplizierter Alltagswein.

Auffällig ist, dass auf vergleichsweise kleiner Fläche manche Winzer ihre Weine sehr naturnah an- und ausbauen. Neben Albert Thürauf in Rothenburg folgen u.a. auch Stephan Kraemer in Auernhofen, Michael Baumann in Gerlachsheim und – weder verwandt noch verschwägert – Max Baumann in Dertingen dieser Philosophie. „Max sein Wein“ verkauft sich vor allem im  Ausland gut. Und dies zu Preisen, von denen die meisten Tauberwinzer allenfalls zu träumen wagen. Größte Erzeuger im Taubertal sind die Winzergenossenschaften im württembergischen Markelsheim mit 180 und im badischen Beckstein mit 260 Hektar. Leitsorten sind Müller-Thurgau, Silvaner und bei den Rotweinen der Schwarzriesling.

Der Grünkern
Weinköniginnen gibt es zuhauf, Grünkernköniginnen dagegen weltweit nur eine: Annika Müller, Lehramtsstudentin in Würzburg und Müllerstochter aus Boxberg-Schweigern etwas abseits des Taubertals. Grünkern ist unreif geernteter Dinkel. „Er entstand 1660 aus einer Not heraus“, erklärt sie. „Vor der Ernte war es nass und stürmisch, der Dinkel wurde einfach nicht richtig reif.“ Also ernteten ihn die Bauern rund um das Taubertal so wie er war, darrten ihn – und schufen so ein neues Lebensmittel. Und ein gutes, gesundes dazu. Grünkern ist ausgesprochen vielfältig verwendbar, von herzhaft bis süß.

„Und es ist sättigender als andere Getreidesorten“, hat nicht nur Annika Müller festgestellt. Dinkel gilt als sogenanntes „Super-Food“, bei Grünkern ist es nicht anders. Von ihrer Mutter hat die Kronenträgerin die verschiedensten Rezepte gelernt: für Suppe, Braten (eine Art große Frikadelle auf Grünkernbasis), Küchlein, Pizza (für den Teig), Auflauf, Waffeln, Gebäck, Kuchen und Torten. Der elterliche Betrieb, die Schwarzenmühle verarbeitet ausschließlich Grünkern und Dinkel von Bauern aus der Umgebung. „Diese Getreide sind schwieriger zu verarbeiten als etwa Gerste oder Weizen“, weiß Annika, daher gebe es nur noch wenige Mühlen. Verkauft wird unter anderem im eigenen Dorfladen, als klassisches Mehl, geschrotet oder als ganzes Korn. „Für das Gebäck nehme ich das Geschrotete“, sagt die Grünkernkönigin, „in den Teig kommt dazu noch kleingeschnittenes Trockenobst.“ Die Plätzchen schmecken einfach nur königlich.

Das Bier
Es gibt Weingegenden und es gibt Biergegenden. Die Region rund um die Tauber ist beides. Etwas abseits des Gewässers, in der Nähe von Bad Mergentheim, liegt das 300 Einwohner zählende Herbsthausen. Und mittendrin: die Herbsthäuser Brauerei, in fünfter Generation im Besitz der Familie Wunderlich. Gerade einmal 45.000 Hektoliter Bier braut die kleine Brauerei im Jahr, eine „Pfütze“ im Vergleich zu den Fernsehbieren aus Bitburg oder Warstein. Dafür brauen sie hier handwerklich und mit viel Herzblut „ein Bier von und für Menschen von hier“, wie der Slogan verspricht. Bei der Massenproduktion wird oft Hopfenextrakt eingesetzt, in Herbsthausen sind es noch echte Hopfendolden. „Wir können damit den Geschmack unserer Biere besser nuancieren“, ist Braumeister Patrick Hörner überzeugt.

Mehr als doppelt so groß und dennoch immer noch klein ist die Distelhäuser Brauerei in – man ahnt es – Distelhausen, einem Ortsteil von Tauberbischofsheim. 40.000 Tonnen Braugerste verwandeln sich hier jedes Jahr in Bier, das meiste davon in Pils. Als „Reminiszenz an die Region“, so Braumeister Robert Schlagbauer, werden pro Jahr etwa 60.000 Flaschen Dinkelbier produziert. „Für den Brauer ist der Dinkel nicht leicht zu verarbeiten“, erklärt Schlagbauer, der ursprünglich aus dem Biertrinkerland Niederbayern stammt. Das läge vor allem am hohen Eiweißgehalt des Getreides. Auch Distelhäuser ist seit mehreren Generationen in Familienbesitz. Getrunken wird das Bier – wie auch das aus Herbsthausen – ganz überwiegend in einem Umkreis von weniger als 100 Kilometern. Ausgeschenkt wird eines von beiden in nahezu jedem Gasthof im Taubertal.

Die Schneeballen
Wer sich dem Tal der Tauber von ihrer Quelle her nähert, der kommt an Rothenburg nicht vorbei. Und damit, als regionaler Spezialität, den „Schneeballen“. Ihre Geschichte reicht bis ins Mittelalter zurück, damals gab es sie meist nur zu Hochzeiten, Geburtstagen oder anderen Festen. „Oder als Fastenspeise“, weiß Konditormeister Walter Friedl. Schneeballen bestehen aus einem klassischen Mürbeteig: Mehl, Zucker, dazu ein bisschen Ei und Öl. Der ausgerollte Teig wird in Streifen geschnitten und von einem speziellen Werkzeug, dem „Schneeballeneisen“, in Form gedrückt. Anschließend geht es für acht Minuten ins 180 Grad heiße Öl. Einen guten Schneeballen erkenne man daran, so Friedl, dass er nach dem Backen leicht auseinanderbreche. Rasch gegessen werden muss er nicht, der Ballen hält sich problemlos einige Wochen.

Einheimische essen ihn gerne bestreut mit Puderzucker, Touristen dagegen gerne gefüllt: mit Mandeln, Marzipan, Nougat, Amaretto („Mögen vor allem die Italiener“), Kokosflocken oder überzogen mit Schokolade. Ein gutes Dutzend Sorten hat der Traditionskonditor im Angebot. Ähnlich wie die Nürnberger Rostbratwurst ist der Begriff Schneeballen rechtlich nicht geschützt. Für seine gefüllten Varianten hat sich Walter Friedl den Namen jedoch schützen lassen: Tauberkugeln. Rund 1.500 Ballen und Kugeln stellt er pro Tag her, in der Weihnachtszeit ist es fast die doppelte Menge. „Ich könnte noch viel mehr produzieren, aber ich will ja ein traditioneller Handwerksbetrieb bleiben und nicht zu einer Fabrik werden“, setzt sich der 64-Jährige selbst Grenzen. Verkauft werden die Ballen und Kugeln nicht allein in Friedls Traditionscafé in der Nähe des Rothenburger Marktplatzes. Sondern auch bei etlichen Vertriebspartnern u.a. im 350 Kilometer entfernten Mittenwald.

Die Hochprozentigen
Am Ende des Tals, wenige Kilometer von der Mündung der Tauber in den Main entfernt, produziert die Destillerie Ziegler einige der besten Obstbrände weltweit. Größten Wert legen Edelbrenner wie Paul Maier auf vollreife, absolut gesunde, hocharomatische Früchte. Mit Tafelobst auf dem Markt ist dies nicht vergleichbar, Brennobst wirkt häufig fleckig und überreif. Äpfel und Zwetschgen kommen für Ziegler meist von den Streuobstwiesen entlang des Untermains, Marillen aus Österreich, Himbeeren aus Rumänien. Andere Brennereien verwenden bereits vergorene Früchte, Fruchtmark oder Tiefkühlprodukte. Bei Ziegler sind es ausschließlich frische Früchte.

Das angelieferte Obst wird von Hand verlesen, beim Steinobst der Kern mechanisch entfernt. Versetzt mit Reinzuchthefe aus einem Champagnerstamm vergärt das reine Fruchtfleisch bei konstant niedrigen 18 Grad vier und sechs Wochen lang. „Niedrige Temperaturen und lange Gärzeiten sind die Grundlage für komplexe, intensive Aromen“, weiß Meisterbrenner Maier. Extrem wichtig ist dabei, dass die Maische keinen Kontakt zu Sauerstoff bekommt. Denn; „Oxydation ist ihr schlimmster Feind.“

Alle Maischen werden anschließend in Brennblasen aus Kupfer zweimal gebrannt, erst roh, dann fein. Vom Feinbrand in die Flasche gelangt jedoch allenfalls die Hälfte des Destillats, nämlich der mittlere, der hochwertigste Teil. Was Vorlauf und was Nachlauf ist, darüber entscheiden in erster Linie die Nasen der Brennmeister wie die von Paul Maier. „Da wir nur das Allerbeste wollen, gehen wir mit der Definition von Vor- und Nachlauf recht großzügig um“, sagt er. Dies erklärt auch, warum aus einem Kilo Früchte weniger als 50 Gramm hochprozentiger Brand oder Geist werden. Und warum die Brände vom Main von rund 60 Euro die Flasche an aufwärts absolut hochpreisig sind. Dafür bieten sie reinen Genuss: der legendäre Wildkirsch – Preis um die 100 Euro – „tapeziert das Göschle aus“, wie man im Schwäbischen sagt, und sorgt für einen schier endlosen Abgang.

Über den Autor*Innen

Unser Autor Klaus Pfenning

Klaus Pfenning

Klaus Pfenning wuchs am Rande des Odenwalds auf – und damit eher mit Apfelwein. Erst im frühen Erwachsenenalter wurde ihm bewusst, dass sich auch aus anderen Früchten wunderbare Weine herstellen lassen. Vor allem aus Trauben, weißen wie roten. Vor 30 Jahren verlegte der Naturliebhaber seinen Lebensmittelpunkt an die Badische Bergstraße. Von dort aus kann er nicht nur den heimischen Winzern bei der Arbeit zuschauen. Sondern auch hinüberblicken in die Pfalz und nach Rheinhessen. Dem wachsenden Interesse am Wein konnte das nicht schaden.