Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht. Zumindest nicht bei näherem Hinblicken. Alkoholfreier Wein zum Beispiel. Schließlich muss Qualitäts- und Prädikatswein in Deutschland nach den Buchstaben des Weingesetzes mindestens 7 Prozent Alkohol enthalten. Bei den restsüßen Beerenauslesen, Trockenbeerenauslesen und Eisweinen liegt die Untergrenze bei 5,5 Prozent. Alles andere ist, etwas sperrig und dafür korrekt ausgedrückt, „entalkoholisierter Wein“. Und liegt der hierzulande ziemlich im Trend, auch wenn sein Marktanteil derzeit noch unter ein Prozent beträgt. Expertenschätzungen gehen jedoch davon aus, dass er in den kommenden Jahren deutlich zunehmen wird.
Grundsätzlich ist Wein ohne Alkohol nicht wirklich etwas Neues. Bereits 1907 und damit vor mehr als 100 Jahren hatte Carl Jung im Rheingau eine Methode entwickelt, mit der dem vergorenen Traubensaft der berauschende Stoff wieder entzogen wurde. „Wein braucht Geschmack, keinen Alkohol“, lautete sein Credo. Bis heute wird hierzu noch fast immer dasselbe Verfahren angewendet: der Wein wird einem Vakuum ausgesetzt, der den Alkohol schon bei Temperaturen von etwa 30 Grad verdampfen lässt.
Für den Gaumen passionierter Weintrinker galt entalkoholisierter Wein noch vor einer Generation als eine Art „versuchter Körperverletzung“. In der Zwischenzeit haben sich die Verfahren soweit verbessert, dass zunehmend zumindest akzeptable Qualitäten ins Glas kommen. Das selbe Level wie Wein wird er freilich nie erreichen und auch nicht erreichen können: Alkohol ist ein entscheidender Baustein für den Körper des Weins und zugleich ein wichtiger Geschmacksträger. Kein Wunder also, dass nach dem Zielgruppemodell des Deutschen Weininstituts (DWI) nur 3 Prozent der „klassischen Weinkenner“ zu diesem Nischenprodukt greifen. „Nichtweintrinker“ mit 28 Prozent und „Anspruchslose“ mit 22 Prozent dominieren den Markt. Dabei liegt „Smart Drinking“ immer mehr im Trend. Die Zahl der so genannten Komasäufer unter den Jugendlichen geht immer mehr zurück. Dafür steigt die Zahl der gesundheitsbewussten Menschen und solcher, die aus medizinischen Gründen keinen Alkohol trinken möchten oder dürfen.
„Für einen guten entalkoholisierten Wein braucht es einen guten Grundwein“, gibt Sommelière und DWI-Seminarleiterin Verena Herzog die Grundrichtung vor. Je nach Rebe kann sich jedoch die Aromatik durch den Prozess verändern. Beim Riesling zum Beispiel verstärken sich die vegetabilen Noten, etwa die von Kräutern. Gleichzeitig steigt der Anteil der Säure um etwa ein Gramm pro Liter. „Die Schwankungsbreite bei den Qualitäten ist enorm“, so Herzog. Die meisten Anbieter entalkoholisieren nicht selbst, sondern lassen dies im Lohnverfahren tun. Einer der Großen auf diesem Gebiet ist die Kellerei Adam Trautwein im rheinhessischen Lonsheim. Der Name Carl Jungs als Erfinder des Vakuum-Verfahrens ist noch bis heute präsent: seine Nachfahren produzieren in Rüdesheim nach eigenen Angaben rund 10 Millionen Flaschen im Jahr, etliche davon in Bioqualität. Vertrieben werden sie in 30 Ländern weltweit.
„Damit schenken wir Menschen, die auf Alkohol verzichten wollen oder müssen, ein Stück Lebensqualität“, heißt es in der Eigenwerbung. Nach dem gleichen Verfahren wie beim Stillwein wird auch alkoholfreier Sekt erzeugt. Dieser ist heute im Markt bereits deutlich besser angekommen: sein Anteil liegt bei rund 6 Prozent und nähert sich langsam aber sicher der Quote beim alkoholfreien Bier. Aber auch beim Sekt fehlt der Alkohol als Geschmacksträger. Dennoch: gilt, wie beim „richtigen“ Wein: alles ist Geschmackssache. „Wenn man erst mal sechs oder sieben alkoholfreie Weine probiert hat, hat man sich vom alkoholhaltigen schon ein gutes Stück weit entfernt“, hat Prof. Ulrich Fischer vom Weincampus Neustadt mit seinen Forschungsprojekten festgestellt.
Über den Autor*Innen
Klaus Pfenning
Klaus Pfenning wuchs am Rande des Odenwalds auf – und damit eher mit Apfelwein. Erst im frühen Erwachsenenalter wurde ihm bewusst, dass sich auch aus anderen Früchten wunderbare Weine herstellen lassen. Vor allem aus Trauben, weißen wie roten. Vor 30 Jahren verlegte der Naturliebhaber seinen Lebensmittelpunkt an die Badische Bergstraße. Von dort aus kann er nicht nur den heimischen Winzern bei der Arbeit zuschauen. Sondern auch hinüberblicken in die Pfalz und nach Rheinhessen. Dem wachsenden Interesse am Wein konnte das nicht schaden.