
Wir schlendern entlang der Oderpromenade, die zwar mitten in der Stadt liegt und den- noch als entspannte Spazierroute die Altstadt mit der Dominsel ver- bindet. Vor uns liegt das charakteristische Stadtpanorama von Worclaw, dem früheren Breslau, daneben fließt die Oder mit ihren Nebenflüssen, wo auch Passagierschiffe vor Anker gehen oder ihre Runden drehen. Als zweitlängster Fluss Polens ist die Oder die Lebensader von Wroclaw und gestaltet mit zwölf Inseln und 112 Brücken sowie ausgedehnten Grünflächen das außergewöhnliche Ambiente der drittgrößten Stadt Polens.
Über die Brücke, wo unzählige, bunte Liebesschlösser am Geländer baumeln, gelangen wir auf die Dominsel vor den Toren Wroclaws. Hier befindet sich der Ursprung der Stadt, wo um das Jahr 1000 mit einer Piastenburg die Stadtgeschich- te beginnt. Zahlreiche Denkmäler wie die Stiftskirche zum Heiligen Kreuz und die Kathedrale St. Johannes der Täufer sind die architektonischen Zeugen der Anfänge. Hier liegt auch das Bischofspalais.
Auf der Dominsel, die heute als Venedig Polens zum Unesco Weltkulturerbe zählt, stört kein Rummel oder Straßenlärm. Sakrale Stimmung umgibt die mächtigen Kirchenbauten. Besonders markant erhebt sich das gotische Backsteingebäude des Breslauer Domes (1244 bis 1341). Johannes dem Täufer geweiht, ist er mit seinen 98 Meter hohen, spitzen Turmhelmen bereits von Weitem schon zu sehen und bildet auch das Wahrzeichen von Wroclaw. Die gotische Kirchenarchitektur wird ergänzt von barocken Kapellen, die der Berni- ni-Schule zugerechnet werden. Die Kurfürstenkapelle ist ein Werk von J. B. Fischer von Erlach.
Das katholische Kirchenensemble komplettiert die nicht weniger mächtige, gotische Stiftskirche zum Heiligen Kreuz und St. Bartholomäus. Ihr profiliertes Kreuzrippen- gewölbe schließt die gleich hohen Kirchenschiffe nach oben ab und bildet so einen durchgängigen Raum.
1945 in Schutt und Asche gelegt
Das abgeschiedene, kleine Domviertel bekommt noch einen besonderen Effekt, wenn bei Dunkelheit die Gaslampen entzündet werden und die Brücke somit in ein warmes Licht tauchen.
Verzaubert von so viel andächtiger Stille und Einkehr kommen wir ins pulsierende Stadtleben von Wroclaw, dem Marktplatz Rynek (Ring). Er bildet das Herzstück, die „Gute Stube“ der Stadt mit 3,7 Hektar (212 mal 175 Me- ter), ist er neben Krakau der zweitgrößte Platz in Polen. Hier trifft man sich, geht einkaufen, bewundert Gaukler und Musikanten oder besucht eines der zahlreichen Restaurants und Cafés.
Das einmalige Stadtbild mit den bunten Häuserfassaden, die sich in Form und Farbe ganz unterschiedlich aneinanderreihen, wirkt heiter und lädt zum Verweilen ein. Jedes der Gebäude besitzt seine eigene Geschichte, Funktion und Stil. Das Haus „Unter den Greifen“ beispielsweise gehörte einst angesehenen Pelzhändlern, „Zum alten Galgen“ stammt aus dem 14. Jahrhundert, war der Richtplatz und erhielt im 16. Jahrhundert seine heutige Form. Zum „Goldenen Hirschen“ war einst die älteste Apotheke und „Zum Goldenen Becher“ gehörte einer Kaufmannsfamilie mit die- sem Namen.
Die wechselhafte Geschichte Breslaus war seit dem 13. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg deutsch, bis die Rote Armee kurz vor Ende des Krieges die Oderstadt in Schutt und Asche legte. Nach der Zerstörung 1945 begann die polnische Regierung ab 1950 mit dem Wiederaufbau. Ab dem Jahr 1990 wurde dann auch das deutsche Erbe und Kulturgut mit integriert. Heute zählt der Rynek zu den schönsten Plätzen in ganz Europa.
Stilistisches Prunkstück ist das Rathaus aus dem Jahr 1303 mit sei- nem gotischen Hauptgiebel, dem 66 Meter hohen Turm und der astronomischen Uhr. 1871 wurden bauliche Veränderungen im Stil der Neugotik vorgenommen. Der wuchtige Backsteinbau wurde im Krieg kaum beschädigt, sodass das reichhaltige Maßwerk, die Filialen und Erker noch aus dem 15. Jahrhundert stammen. Sie lassen das gesamte Gebäude leichter und fra- giler erscheinen. Hohe Gewölbe- säle der Spätgotik und Renaissance befinden sich im Inneren des alten Rathauses.
Am Rynek gelegen sind die ältesten Kirchen Breslaus. Die Magdalenenkirche, einst Hauptkirche der Stadt, besitzt eine besondere Reliquie, einen Dorn aus der Krone Christi. Ihre beiden Türme sind auf 45 Meter Höhe mit einer Brücke verbunden, die früher als Büßerbrücke bezeichnet wurde. Auch die Elisabethkirche, ein mächtiger Bau aus Backstein, zählt zu den Altkirchen in Breslau. Die ehemalige Holzkirche aus dem 11. Jahr- hundert, zerstört von den Mongo- len, zählt heute mit drei Kirchen- schiffen ohne Querschiff und einem fast 30 Meter hohen Innen- raum zu den größten Kirchen Schlesiens. Ihr mächtiger Turm misst 90 Meter und gestaltet das Bild der Altstadt mit.
Perle des schlesischen Barocks
Auf dem Weg zur Universität führt uns unser Guide Izabela Zielinska-Kalita durch eine gepflasterte Gasse. „Hier befanden sich damals die alten Fleischbänke, Jatki genannt“, erklärt sie. „Seit dem 12. Jahrhundert wurde hier Geflügel und Fleisch verkauft. Heute arbeiten in den renovierten Gebäuden Künstler und Handwerker. Ziegen, Enten, Hasen oder Gänse aus Bronze erinnern an den ehemali- gen Schlachthof.
Wir kommen zur ältesten Hochschule der Stadt, deren Gebäude als Perle des schlesischen Barocks genannt werden. Gelehrt werden Theologie, Jura, Medizin und Phi- losophie. Die barocke Jesuitenkirche, deren Deckenfresko zwischen 1703 und 1706 von Johann Michael Rottmayer geschaffen wurde, ist ein besonderes Meisterstück. Von Johann Albrecht Siegwitz stammt der barocke Eingangsbalkon der Leopoldina. Die allegorischen Skulpturen der Kardinal Tugenden Gerechtigkeit, Weisheit, Tapferkeit und Mäßigung sind in Stein gearbeitet und schmücken seit 1736 die Fassade.
In der Nachbarschaft der Uni befindet sich das „Ossolineum“ (erbaut: 1690 bis 1710), umgeben von einer barocken Gartenanlage. In der Nationalbibliothek sind wertvolle Kulturgüter Polens aufbewahrt.
Eine liebenswerte Besonderheit der Stadt Breslau sind die Zwerge. Von Tomasz Moczek wurden 2004 zwölf der Bronzeminiaturen ange- fertigt. Sie waren Teil der Frei- heitsbewegung gegen die kommunistische Zwangsherrschaft. Inzwischen sollen es an die 800 Exemplare sein, die in der ganzen Stadt an unterschiedlichen Stellen aufgestellt sind.
Obwohl Breslau, wie bereits erwähnt, zwei Tage vor Kriegsende zu 90 Prozent zerstört wurde, ist es umso bewundernswerter, wie sich heute die Oderstadt präsen- tiert. Historie und Moderne bilden ein harmonisches Miteinander und laden die Besucherinnen und Besucher ein, die „Gute Stube“ von Breslau zu besichtigen.
Über den Autor*Innen

Eva-Maria Mayring
Nach dem Studium der Kunstgeschichte arbeitete die Münchnerin als Redakteurin bei der Passauer Neuen Presse und Münchner Merkur. Seit 2000 schreibt die inzwischen freie Journalistin vor allem für die Reiseseiten in Magazinen und Zeitungen. Besonders großen Spaß macht es ihr, für ausgefallene Geschichten in fremden Ländern zu recherchieren und dabei auch deren kulinarischen Köstlichkeiten kennenzulernen. Egal ob Bayern, Kärnten oder Canada Natur, Kunst und Genuss stehen ganz oben auf ihrer Liste. Und nach ihrem Studienjahr in Edinburgh hat sie ihre Liebe für Großbritannien entdeckt.