Im Wasser gewachsen, im Wein ertränkt

Wo früher Sumpfgebiet war, wird heute auf 160 Hektar Reis angebaut - (c) Maren Recken

 

Der Reisanbau war eine anstrengende Angelegenheit. Vor allem für die sogenannten „mondine“, die Frauen, die noch im Italien der 1950er Jahre barfuß und bis zu den Knien im Wasser standen, um die empfindlichen Reispflanzen umzusetzen und die gewässerten Felder vom Unkraut zu befreien. Geplagt von Rückenschmerzen, wegen der ewig gebeugten Körperhaltung und von Stechmücken, die durch das feuchte Klima der Reisfelder angezogen wurden.  Reisanbaugebiete waren immer auch Malariagebiete. In einstigen Sumpfgebieten wie hier in Torre di Fine, in unmittelbarer Nachbarschaft des Adria-Badeorts Caorle sowieso. Erst in den 1960er Jahren war die Malaria ausgerottet.

„Mondine als Bezeichnung für die Saisonarbeiterinnen auf den Reisfeldern leitet sich vom Verb mondare – auf Deutsch säubern – ab“, erklärt Eugenio Conte, Geschäftsführer des Reisanbaubetriebs La Fagiana, während er die Besucher durch den knapp 500 Hektar großen Betrieb führt. Auf rund 160 Hektar davon wird Reis angebaut, erzählt er weiter. „Wir bauen nur die Sorte Carnaroli an. Die ist zur Zubereitung des italienischen Risottos, vor allem für die Rezepte hier im Veneto, besonders geeignet. Weil der Carnaroli-Reis  nach dem Kochen auch nach 20 Minuten noch seine Bissfestigkeit behält“, klärt Conte auf. Die italienischen Hausfrauen unter den Besuchern auf den Reisfeldern nicken zustimmend.

Vom Verkaufsraum, hinter dem sich auch die Räume mit den Verarbeitungsmaschinen für den Reis befinden, geht es zu den Reisanbauflächen. Vorbei an verlassenen Häusern, einen langen Kiesweg entlang, zu einem der Reisfelder. Jetzt Anfang Juni wachsen die Reispflanzen bereits deutlich über die Wasseroberfläche hinaus, haben aber noch keine Reiskörner gebildet. Eugenio Conte kann viel erzählen. Über den Reisanbau in Italien – unter den europäischen Reisproduzenten ist Italien mit  55% Marktanteil der größte, wobei der meiste Reis in der Poebene, angebaut wird – und über die Geschichte von La Fagiana. Wie der Reisanbau dort begann und wie er heute ausgeführt wird: Wo dieser Tage landwirtschaftlich genutzte Fläche ist, war früher Sumpfgebiet. Nach dem ersten Weltkrieg erfolgte die Trockenlegung. Noch heute befindet sich das Gelände bis zu eineinhalb Meter unter Meeresspiegel. Um 1920 wurde der erste Reis dort angebaut. Damals noch vorwiegend für den Eigenbedarf und weil der damalige Direktor aus Ferrara stammten und die Idee zum Reisanbau aus seiner Heimatregion mitbrachte. Während der Reisanbau früher harte Handarbeit mit mäßigem Ertrag war, haben der Einsatz von Maschinen und moderner Technik sowie der gezielte Einsatz von Dünger und Unkrautvernichter den Reisanbau nicht nur einfacher, sondern auch ertragreicher gemacht. Die Folge: Es braucht deutlich weniger menschliche Arbeitsleistung. Eugenio Conte zeigt auf ein verlassenes Haus gegenüber eines der Reisfelder. Davor lagern steinerne Halbrohre, Teile des ehemaligen Bewässerungssystems, das heute unterirdisch verläuft. „Früher gab es hier viele solcher Häuser. Bewohnt von je rund 30 Mitgliedern einer Großfamilie, alle arbeiteten auf den Reisfeldern“, erzählt Conte. Im Ganzen hätten rund 300 bis 400 Menschen auf dem Gebiet des heutigen Betriebsgeländes von La Fagiana gearbeitet. Heute würden für die gleiche Arbeit nur noch eine Handvoll Arbeitskräfte benötigt, obwohl der Reisanbau in vielen Bereichen große Exaktheit fordert. Wie bei der Einebnung des Bodens, die heutzutage per Laserkontrolle erfolgt. „Maximal ein bis zwei Zentimeter Höhenunterschied darf ein Reisfeld von bis zu 15 Hektar Größe haben“, erzählt Eugenio Conte. Wäre der Höhenunterschied größer, stünde in Teilen des Feldes das Wasser zu hoch und die jungen, noch recht empfindlichen Reispflanzen würden eingehen. Tod durch Ertrinken sozusagen. Dabei sollte Reis doch „im Wasser wachsen und im Wein ertränkt werden“, wie Conte mit einem Augenzwinkern und unter Anspielung darauf, dass La Fagiana auch Wein produziert, erklärt.

Zurück zum Reisanbau: Der Einsatz moderner Techniken ist die eine Seite. Das Praktizieren traditioneller landwirtschaftlicher Methoden die andere. „Wir halten uns ganz streng an die Fruchtfolge. Bevor auf einem Feld wieder Reis angebaut wird, wachsen dort Soja, Mais, Zuckerrüben und Getreide“, erläutert Conte und zeigt auf ein trockengelegte Reisfeld, auf dem junge Reispflanzen wachsen. Die Erklärung für das wasserlose Reisfeld folgt auf den Fuß: Hier im Lagunengebiet sei der Untergrund so weich, dass die schweren Maschinen, mit deren Hilfe das Feld in den nächsten Tagen gedüngt werden solle, einsinken würden, würden sie in ein gewässertes Reisfeld fahren. Ein ausgeklügeltes Kanal- und Schleusensystem sorgt dafür, dass die Felder jeder Zeit trockengelegt oder gewässert werden können.

Während auf La Fagiana in der Wachstumsphase des Reises durchaus gezielt chemischer Dünger eingesetzt wird, erfolgt die Weiterverarbeitung Chemie frei. Will heißen, weder werden die Reiskörner mit Zusätzen wie Öl oder Talkum „poliert“, noch wird der Reis mit Insektiziden behandelt oder werden Konservierungsmittel zugesetzt. Das garantiert zwar ein naturbelassenes Produkt, macht den Reis aber auch für die Lebensmittelmotten interessant. Der Rat des Fachmanns Eugenio Conte lautet daher: „Am besten hält sich unser Carnaroli-Reis, wenn er im Kühlschrank aufbewahrt wird.

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Über den Autor*Innen

Maren Recken

Maren Recken ist als freie Journalistin mit Videokamera, Fotoapparat und Notizblock unterwegs. Häufig in Italien, am liebsten im Gespräch mit den Menschen vor Ort; auf der Suche nach einer besonderen Story und einem authentischen Reiseziel. Sie veröffentlicht online und in verschiedenen Tageszeitungen, dreht Videos und erstellt Imagefilme. Während und nach ihrem Germanistikstudium hat sie mit verschiedenen privaten Radio- und Fernsehsendern zusammengearbeitet. Bei La Nazione in Florenz hat sie in der Onlineredaktion erlebt, wie Journalismus in Italien funktioniert.