Zamora träumte lange fast vergessen am Rand Spaniens. Dabei sind nicht nur Käse, Wein und Schokolade gute Gründe für einen Besuch in der uralten Stadt. Urlauber erleben hier auch ein ursprüngliches Stück Spanien.
Schon als Kind liebte Chocolatier José-Luis Refart Schokolade: ihren Geschmack, ihre Aromen und die Bilder, die sie weckte. „Ich bat meine Verwandten immer, mir aus Deutschland und der Schweiz Schokolade mitzubringen. Der Geschmack aus diesen Ländern, in denen es schneebedeckte Dreitausender gibt, war für mich wie ein Traum." Der Weg von der frühen Liebe zur Profession sollte ein paar Schlangenlinien nehmen, denn Refart ging zunächst in eine ganz andere Richtung: Er wurde Bauzeichner. Heute sind er und seine Frau Cruz trotzdem Meister in der Kunst der Schokoladenherstellung, wie schon die Verkostung der ersten Praline beweist: Würziger Schafskäse mischt sich in süße Schokolade. Es folgt ein kräftiger Hauch Wein, bevor sich der intensive Geschmack von Steineichenhonig am Gaumen mit der Schokolade verbindet und das Bild eines hellen Sommermorgens im Kopf entstehen lässt. „Wir wollten den ganzen Geschmack der Provinz Zamora in eine einzige Praline füllen", erklärt José-Luis die Aromen-Explosion mit bescheidenem Lächeln. Die Schafherden auf den von Stein- und Korkeichen begrünten Weiden, die Weinberge, die uralten Dörfer mit ihren Käsereien und Bodegas, die ganze Naturlandschaft im Westen Spaniens, wo der Fluss Duero zwischen steilen Bergen die Grenze Spaniens und Portugals markiert - das Land und seine Erzeugnisse eingehüllt in handgeschöpfte Schokolade. Das Experiment gelang: Die Praline zählt heute zu den preisgekrönten Glanzstücken im Sortiment der Chocolatiers José-Luis und Cruz Refart.
Cruz war wie ihr Mann Bauzeichner, als die Finanzkrise in Spanien 2007 beide zwang, einen neuen Weg einzuschlagen. „Da erinnerten wir uns unserer Kindheitsträume", sagt José-Luis. Das Paar beschloss, den Traum nun zum Beruf zu machen - nicht umsonst war schließlich die Kakaobohne 1519 durch spanische Eroberer nach Europa gelangt -, und ließ sich in Barcelona zu Chocolatiers ausbilden. Heute entstehen in ihrer Manufaktur nahe des Duero in Zamora mehr als dreißig Sorten Schokolade sowie Pralinen, die ihnen mehrere Auszeichnungen eingebracht haben.
Zamora liegt fünfzig Kilometer von der portugiesischen Grenze entfernt an der Silberroute, einer von Süden kommenden Nebenstrecke des Jakobswegs. Obwohl bereits in der Antike bedeutsam, lag die Stadt lange fast vergessen am westlichen Rand Spaniens. Dass sie ihre Geheimnisse für sich behielt, ist heute womöglich ihr größter Reiz. Denn trotz der mächtigen Stadtmauer, der Kathedrale aus dem 12. Jahrhundert und sechzig farbenfroher Wandgemälde kennt außerhalb Spaniens kaum jemand die ebenso eindrucksvoll wie strategisch günstig über dem Duero gelegene Stadt. Und auch innerhalb des Landes ist sie vor allem für ihre ernste, getragene und lange Semana Santa bekannt, die am Donnerstag vor der Karwoche beginnt und somit stolze zehn Tage dauert. Die Tableaus, die bei den Prozessionen durch die Straßen geschleppt werden, sind während des übrigen Jahres im Museum der romanischen Kathedrale zu sehen. Am Montag der Karwoche ziehen die in lange Kutten gewandeten Mitglieder der Bruderschaft des „Santísimo Cristo de la Buena Muerte" auf die von Fackeln erhellte Plaza Santa Lucía und singen „Jerusalem, Jerusalem" - für viele Bewohner Zamoras der Höhepunkt der Heiligen Woche. Die Tradition ist so fest verwurzelt, dass Kinder bei ihrer Geburt Mitglieder in der Bruderschaft ihrer Familie werden.
Dabei bietet die Sechzigtausend-Einwohner-Stadt mit einer der größten Ansammlungen romanischer Kirchen in Europa, schönen Jugendstil-Bauten, den Überresten einer Burg, in der er 1976 Szenen für den Film „Robin und Marian" mit Sean Connery und Audrey Hepburn gedreht wurden, und intakten Altstadt ganzjährig Sehenswertes - von der Umgebung und ihren Erzeugnissen - Wein, Käse und Olivenöl - gar nicht zu reden.
Wenige Kilometer außerhalb der Stadtmauern züchtet Felix Pastor in sechster Generation Schafe. Auch die nächste Generation macht dem Namen „Pastor" (Hirte) bereits Ehre; Sohn und zwei Neffen sind bereits in die Käserei eingestiegen. Seit dem Morgen ist seine Nichte im Krankenhaus, um ihr Baby zu bekommen; Pastor hofft nach vielen Knaben in der Familie auf ein Mädchen. Gerade hat er die Schafe aus dem Regen in den Stall gebracht, nun zeigt er Besuchern Melkstation und Reiferaum, in dem die Rohmilch-Käselaibe zwei Monate lang jeden zweiten Tag gewendet werden. Dann dürfen die Gäste den Queso Zamorano probieren. „Schauen Sie ihn sich erst an", rät er. „Die Farbe zeigt, von welchem Tier die Milch stammt." Ziegenkäse etwa sei deutlich heller als Schafskäse; schmecke ein Käse nach Stall, hätten die Tiere zu wenig Zeit auf der Weide verbracht. „Brechen Sie ein Stück Käse ab und schnuppern Sie daran." Appetitliche Milch- und Butterdüfte müssen aufsteigen. Dann wird gekostet. „Kauen Sie gut, um die Textur zu spüren." Zum Käse gehört der Wein; probieren sollte man beides aber nacheinander, um die Aromen nicht zu vermengen. Dennoch hat Pastor eine Flasche entkorkt und empfiehlt den Besuchern, ihre Studien zu vertiefen.
Die „Weinroute Zamoras", die den Weg zu Bodegas, aber auch zu Produzenten von Käse und Honig sowie zu Restaurants weist, gibt dazu die nötigen Anregungen. Die Betriebe sind familiengeführt, klein, mitunter Nebenerwerbe. Juan Miguel Fuentes, Winzer in der sechsten Generation im südlich von Zamora gelegenen Cabanas de Sayago, pflegt auf fünf Hektar Land knorrige, hundertfünfzig Jahre alte Rebstöcke. „Wir lesen und säubern die Trauben von Hand und verwenden nur die besten." Aus ihnen entsteht der wuchtige Rotwein „150" seiner Bodega Dominio Sexmil, zu der noch ein weiterer, größerer Weinberg gehört. Mit insgesamt dreißig Hektar zählt er zu den größten Exporteuren der Region.
Es ist nicht leicht, sich unter Spaniens siebenunddreißig DOC-Weinbaugebieten zu behaupten, und ohnehin produzierten viele Landwirte im Gebiet mit der Herkunftsbezeichnung Tierra del Vino Weine seit jeher vor allem für den eigenen Bedarf. „Meine Großeltern machten hier bis vor achtzig Jahren Wein, dann zerstörten Schädlinge die Rebstöcke", erzählt Guillermo Freire, Chef der Bodega Jarreno im zehn Kilometer von Zamora gelegenen Moraleja del Vino. Es war das Ende des Weinbaus in einem Dorf, in dem vor zwei Generationen zu jedem Haus eine Bodega gehörte. Guillermos Vater fing in kleinem Rahmen wieder an und machte Wein für Familie und Freunde. Er setzte das fort, später stiegen seine Söhne ein, und heute erzielt die Familie aus viereinhalb Hektar achtzehn- bis zwanzigtausend Flaschen im Jahr - besonders den roten Tempranillo, aber auch Malvasia und ein wenig Muskateller. In diesem Jahr sind es in Folge der ausgeprägten Trockenheit etwa zwanzig Prozent weniger, dafür sei die Qualität höher. „Es ist nicht mal ein Zehntel von dem, was meine Großeltern produzierten", sagt der Einundsiebzigjährige. Doch ist die Bodega heute die einzig professionell betriebene in Moraleja del Vino. Seine Söhne haben beide noch andere Jobs; einer arbeitet in einer Fabrik im Dorf, der andere kommt nur am Wochenende nach Hause. Doch sie wollen den Weinbau ausbauen und hoffen, sich ihm eines Tages ausschließlich widmen zu können. „Darüber bin ich sehr glücklich - und noch mehr darüber, dass meine achtzehnjährige Enkelin jetzt mit mir zu Weinmessen fährt", so Guillermo Freire. Im sieben Meter tiefen Keller lagern die Weine in Fässern aus französischer Eiche am Fuß einer Wendeltreppe. Hier unten verstaubt Guillermos persönliche Sammlung rarer Flaschen, an den Wänden hängen Weinkrüge, die er ebenfalls sammelt. Und es wird probiert - an einer langen Tafel mit Platten voller Käse und Schinken sowie einer Batterie von Gläsern an jedem Platz. Oft buchen Gruppen von Freunden den Keller, um abzutauchen. „Hier gibt es keinen Telefonempfang und keine Störungen von außen", so Guillaume. „Man weiß nicht, wie lange man schon da ist, und oft auch nicht, wie man wieder herauskommt."
Tipps für Zamora
Anreise: Wer nicht viel Zeit für den Landweg hat, kürzt per Flugzeug (Lufthansa, Iberia) nach Madrid ab. Von dort erreicht man Zamora per Mietwagen in gut drei Stunden.
Schlafen: In einem Renaissance-Palast aus dem 15. Jahrhundert schläft man im mitten in der Altstadt gelegenen Parador de Zamora. Anders als die Grafen von Alba de Aliste, die ihn erbauten, steht Gäste von heute in der warmen Jahreszeit ein großer Außenpool zur Verfügung. Das Doppelzimmer mit Frühstück kostet ab 120 Euro (Plaza de Viriato 5, Zamora, Tel. +34 980 51 44 97, paradores.es/de/parador-de-zamora).
Weinroute: Sehenswürdigkeiten, landwirtschaftliche und gastronomische Betriebe der Weinroute Zamoras findet man im Netz unter rutavinozamora.com (auch auf Deutsch). Alle dort verzeichneten Einrichtungen bieten Verkostungen oder Workshops.
Schlemmen: In der Taberna Lasal gibt es köstliche Tapas. Nahezu bewusstseinserweiternd sind die Tomaten aus Zamora mit Olivenöl (Calle de los Herreros 29, Zamora, Tel. +34 980 98 46 69).
Zum sehr guten Restaurant La Becera (Tapas, der in Nordspanien beliebte Stockfisch, zarte Steaks) im 30 Kilometer von Zamora entfernten Sprengel Peñausende gehört auch ein kleines Hotel (DZ mit Frühstück 70 Euro). Castillo 1, Peñausende, www.la-becera.com.
Nahe der portugiesischen Grenze bietet die Posada Doña Urraca im gleichnamigen Vier-Sterne-Hotel hervorragende regionale Küche im Dorf Fermoselle im Naturpark Arribes del Duero (Calle Requejo 272, Fermoselle, Tel. +34 980 61 34 73).
Unbedingt anschauen: Der Aussichtspunkt Miradorlas Barrancas liegt 60 Kilometer westlich von Zamora unmittelbar an der portugiesischen Grenze. Er öffnet einen fantastischen Blick in die 400 Meter tiefe Schlucht der Arribes del Duero. Der nach ihr benannte Naturpark ist Teil des grenzüberschreitenden Unesco-Biosphärenreservats „Meseta Ibérica".
Auf der portugiesischen Seite des Duero liegt die Internationale Biologische Station Duero - Duoro, die naturkundliche Bootstouren durch die Schlucht anbietet. Die Fahrten dauern anderthalb Stunden und kosten 18 Euro pro Person. Näheres unter www.europarques.com.
Allgemeine Auskünfte: Spanisches Fremdenverkehrsamt, Myliusstr. 15, 60323 Frankfurt, Tel. 069 / 725033, www.spain.info/de.
Über den Autor*Innen
Stefanie Bisping
Stefanie Bisping studierte Anglistik, Germanistik und Politikwissenschaft in Münster und Reading (England). Als Reisejournalistin hat sie die Welt von Spitzbergen bis Tasmanien vermessen, Reportagen für Tageszeitungen und Magazine geschrieben und zahlreiche Bücher veröffentlicht. 2020, 2022, 2023 und 2024 wurde sie zur "Reisejournalistin des Jahres" gewählt.