Wie der Klimawandel Anpassung im Weinberg erzwingt

Wie der Klimawandel Anpassung im Weinberg erzwingt - (c) Prowein

Eine Binsenweisheit des 21. Jahrhunderts besagt, dass Veränderung von innen her geschehen. Tatsächlich sind Veränderungen in der Regel jedoch häufig die Reaktion auf Druck von außen. In vorigen Jahrzehnten wurde die Neubepflanzung von Weinbergen meistens von Marktanforderungen und aktuellen Trends angestoßen, heute wird jedoch wegen eines vollkommen anderen Drucks von Außen neu bepflanzt. Und mit dem Erscheinen des aktuellen Gutachtens zum globalen Klimawandel (2022 Global Assessment of Climate Change) ist zu erkennen, dass dieser Druck kein kultureller oder gesellschaftlicher ist, sondern von der Umwelt ausgeht.

Ebenso wie sich die Branche in den vergangenen Jahren schnell vom persönlichen zum Online-Geschäft umstellen musste, sehen sich Winzer nun mit speziellen Herausforderungen im Weinberg konfrontiert. Wie sie damit umgehen, ist so unterschiedlich, wie die Weine selbst. Allerdings hat das vermehrt mit der Genetik der Weinreben zu tun, also mit den Klonen und der Arbeit im Weinberg. Einige Beispiele können auf der ProWein 2022 – der weltweit größten und bedeutendsten Messe für Weine und Spirituosen – vom 15. bis 17. Mai verkostet werden.

Der Bordeaux-Kosmos
Der „Bordeaux-Stil“ steht weltweit für eine hochwertige rote Cuvée, produziert aus einer Kombination von Cabernet Sauvignon, Merlot, Cabernet Franc und Petit Verdot. Da die durchschnittliche Temperatur während der Vegetationsperiode in den letzten sechs Jahrzehnten jedoch um 3 °C angestiegen ist, wächst unter den Bordeaux-Winzern die Sorge, dass es bald nicht länger möglich sein wird, dem Bordeaux-Stil treu zu bleiben; jedenfalls nicht mit der Qualität und den Eigenschaften, die Konsumenten in jüngster Zeit zu schätzen gelernt haben – und erwarten.

Da die Verbraucher in den letzten Jahrzehnten sanftere, zugänglichere Weine bevorzugten, wurde in der Region vermehrt Merlot angepflanzt. Das führte dazu, dass Merlot-Reben heute beeindruckende 66 % der Rotwein-Weinberge der Region ausmachen. Doch die Eigenschaften, die den Reiz des Merlots ausmachen, sind gleichzeitig seine Achillesverse. Er reift früh, so dass sich viele Winzer angesichts übermäßiger Reife und Alkoholwerte sorgen. Aktuelle Wetterdaten deuten darauf hin, dass sich die Rebsorte bereits im Jahr 2035 aus dem idealen Reifefenster heraus bewegen könnte. In den wärmsten Lagen, in denen die Reben gepflanzt sind, könnte das sogar noch früher geschehen.

Eine mögliche Reaktion auf individueller Ebene ist es, die Reben, die in den vergangenen Jahrzehnten von den Winzern besonders geschützt wurden, herauszureißen und stattdessen Cabernet Sauvignon anzupflanzen. Dieser Trend beschränkt sich bisher auf einige führende Produzenten des Médoc, wie Château Brane-Cantenac und Château Léoville Barton; diese sind jedoch lediglich einige wenige Pioniere. Eine andere Strategie ist es, die Cuvée von Merlot weg zu bewegen, in der Bemühung, Struktur und Frische wieder einzufangen, wie es von Château Phelan Segur praktiziert wird.

In einem Schritt, der von vielen begrüßt wurde, bewilligte das französische Institut National de l'Origine et de la Qualite (INAO) im Jahr 2019 sechs neue Sorten, basierend auf den Ergebnissen von elf Jahren Forschung auf einem Versuchsweinberg in Pessac-Léognan. Diese vier Rotweinsorten – Arinarnoa, Castets, Marselan und Touriga Nacional – und die zwei Weißweinsorten Alvarinho and Liliorila können nun bis zu 10 % einer Cuvée ausmachen. Sie werden nicht nur wegen ihrer Widerstandsfähigkeit in den wärmeren, trockeneren Bedingungen geschätzt, sondern vor allem für ihre Anpassungsfähigkeit. Es wird gehofft, dass dieser kleinere Prozentanteil für die dringend nötige Diversität in den Weinbergen sorgt, ohne den fundamentalen Bordeaux-Stil zu stark zu verändern.

Und doch ist es ein radikaler Schritt für eine Region, deren bis auf die Mitte des 17. Jahrhunderts zurückgehende Weinbautradition eine so wichtige Rolle spielt.

Veränderungen im Burgund
Ähnlich wie im Fall von Bordeaux basiert der Ruf des Burgunds auf einer sehr eng gefassten und spezifischen Identität: ein Weiß- und ein Rotwein (mehr oder weniger). Die Bedeutung der Nische wurde so auf eine ganz neue Ebene gehoben, und eine Zeit lang schienen himmelhohe Preise und ebenso hohe Nachfrage der Beweis für eine absolute Erfolgsgeschichte zu sein. Doch während Extreme von Frost, Hagel und Hitze häufiger auftreten, ist der Heilige Gral des Burgunder-Stils, der von der restlichen Welt inzwischen angestrebt wird, an seinem Herkunftsort vom Aussterben bedroht.

Der merkliche Wandel, den der 2019er Jahrgang kennzeichnete, lässt die inhärenten Probleme des Chardonnays klar erkennen. Das extreme Wetter kulminierte in einer Reifeperiode, die bis zu 7–14 Tage zu spät für die phenolischen Substanzen in den Traubenschalen war. Und nach der vollständigen Reifung der Trauben lagen die Alkoholwerte zwischen 13,5 % und 15,5 %. Im 2020-er Jahrgang wurde hingegen schon Mitte August gelesen, einer der frühesten Lesetermine seit es Aufzeichnungen gibt. Bei der Lese ist man heute nicht mehr ausschließlich darauf bedacht, für ausreichende Zuckerwerte zu sorgen. Vielmehr liegt der Fokus auf dem Erhalt ausreichender Säure, damit der elegante Stil beibehalten werden kann, den Burgunder-Liebhaber verlangen. Einige Rotwein-Jahrgänge werden als „kalifornisch“ beschrieben, und aus Berichten ist zu erkennen, dass die durchschnittlichen Lesetermine bis zu 13 Tage früher stattfinden als 1988. Auch hier liegt das Problem darin, den Stil beizubehalten, den die Konsumenten von dieser Region erwarten, und für den sie in den vergangenen Jahren himmelhohe Preise bezahlten.

Ohne den Spielraum, den ein Arbeiten mit verschiedenen Rebsorten bieten würde – da die Rebsorten von den Regeln der Appellation d’Origin Côntrolée festgelegt werden – können Winzer nicht die befreienden Veränderungen vornehmen, die für ihre Kollegen aus der Neuen Welt selbstverständlich sind. Einige europäische Produzenten suchen die Lösung in der Hinwendung zum Bio-Anbau, mit Verweis darauf, dass späterer Rebschnitt und eine veränderte Herangehensweise an die Laubarbeit offenbar für bessere Anpassungsfähigkeit der Reben sorgen. Begrünung, späterer Rebschnitt und veränderte Laubarbeit können etwas Zeit schinden, langfristig bieten sie aber keine Lösung. Diese Veränderungen in kleinem Umfang können große Auswirkungen haben, wie im Falle der „disruptive viticulture“ von Domaine Boris Champy (Halle 4/C40). In der Region werden auch drastischere Veränderungen diskutiert, etwa die Verlegung der Weinberge in höhere Lagen, ein Wechsel der angepflanzten Klone, sogar ein Wechsel der Rebsorten. Ebenso wie im Bordeaux wurden die Klassifikationen zu einer Zeit etabliert, als das Klima ein ganz anderes war. Es wird dauern, bis die Konsumenten die nötigen Anpassungen in Weinberg und Keller in der Flasche erkennen.

Der Geschmack der Verantwortung
Im Gegensatz zu vielen weinproduzierenden Ländern der Alten Welt vermarkten Deutschland und Österreich ihre Weine basierend auf der Sorte und damit auf der sensorisichen Wahrnehmung. Unbekannte Namen wie Solaris, Pinotin, Donauriesling und Johanniter tauchten in den letzten Jahren allmählich in den Regalen auf – und die Reaktionen waren gemischt. Im Dezember des letzten Jahres legalisierte die EU die Verwendung von Hybridsorten in AOP-Weinen dieser Regionen. Aktuell werden auf 2,4 % der 103.400 ha Anbaufläche in Deutschland Hybridweine angepflanzt, in Österreich sind es 1,5 % - mit einem deutlichen Fokus auf die Weinberge der Steiermark. Und Champagner-Produzenten dürfen seit August 2021 maximal 5 % ihrer Weinberge mit der Hybridsorte Voltis bepflanzen.

Der Vorteil dieser Sorten ist in ihrem Namen klar zu erkennen: PiWis – Pilzwiderstandsfähige Weine. Die modernen Kreuzungen amerikanischer Wurzelstöcke mit einem Edelreis frostbeständiger asiatischer Wurzelstöcke ermöglicht, dass im Weinberg deutlich weniger gespritzt werden muss, was zu weniger Bodenverdichtung, höheren Erträgen und selbstverständlich mehr Diversität im Weinberg sorgt. Besonders in einem nassen Jahr wie 2021 war das wichtig – von dem hehren Ziel der EU, die Verwendung chemischer Pestizide in den kommenden Jahren um 50 % zu reduzieren, einmal abgesehen. Wie bei allen Rebsorten, klassischen und hybriden, liegt der Erfolg in der Kombination von Faktoren: vor allem der richtigen Rebsorte, der Lage und der präzisen Weinbergspflege.

Winzer in Österreich und Deutschland sind mit Kreuzungen wie Cabernet Blanc (Weingut Rainer Schnaitmann, Halle 1/ A100), Pinotin, Solaris und Donauriesling (Winzer Krems eG, Halle 5 / J50) vorangeprescht und haben damit die Akzeptanz der Konsumenten gewonnen. Beeindruckende Beispiele sind auch im Sortiment des biodynamischen Weingut Gustavshof (Halle 5/C20) aus Rheinhessen zu finden.

Gegen viele dieser Sorten spricht jedoch der Geschmack. In den neueren Generationen wird also ein höherer Prozentanteil von Vitis vinifera in der Züchtung gefördert. Während einige Winzer versuchen, das Vitis-vinifera-Geschmacksprofil widerzuspiegeln, betonen andere den manchmal ungewöhnlichen, häufig aber exzellenten Geschmack. Eine aktuelle Verbraucherstudie von Agridea in der Schweiz legt nahe, dass die Konsumenten PiWis im Weinbau der Zukunft durchaus offen gegenüberstehen, auch wenn Geschmack „als das wichtigste Kaufkriterium“ angegeben wird. Vielleicht müssen wir Verbraucher lernen, diesen „neuen“ Geschmack willkommen zu heißen. Da die Temperaturen weiter steigen, die Vegetationsperioden kürzer werden und Extreme die Norm werden, wird es nicht mehr lange dauern, bis viele der traditionellen Sorten und Regionen Weine hervorbringen, die ein anderes Profil bieten als das, an das wir gewöhnt sind. Ein trockener Grauburgunder mit 16 % Vol. kann nicht leicht und erfrischend schmecken. Vielleicht ist der Preis, den wir für das zahlen müssen, was wir unserem Planeten angetan haben und was wir uns vom Wein wünschen, nicht nur aus den Früchten stammt, sondern vielmehr auch aus dem Bewusstsein, dass wir eine verantwortungsvolle, respektvolle Wahl treffen müssen. Vielleicht ist diese ungewöhnliche Gaumennote der Geschmack der Verantwortung.

von Paula Redes Sidore und Stuart Pigott

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