Michelin 2024 – Die Stadtflucht der Sternegastronomie

Guide Michelin 2024 – Die Stadtflucht der Sternegastronomie - (c) Guide Michelin

Es ist Frühjahr und damit auch wieder Zeit für die neueste Ausgabe des Guide Michelin. Bei einer dem Anlass angemessenen Gala zur Verleihung der neuen Sterne in der Hamburger Handelskammer am 26. März wurde viel gejubelt, aber wie steht es wirklich um die Spitzengastronomie in Deutschland?

An 340 Restaurants in Deutschland leuchten jetzt Sterne. Neu ausgezeichnet wurden mit einem Stern 32 Restaurants.  Über den zweiten Stern durfte sich Küchenchef Ulrich Heimann, Restaurant PURE „Kempinski Hotel Berchtesgaden“, ebenso wie Küchenchef Roland Pieber und Souschefin Kathrin Stöcklöcker, Restaurant SEO Küchenhandwerk „Seevital Hotel“ in Langenargen am Bodensee freuen. Eine ganz besondere Leistung schaffte Küchenchef Christoph Kunz. Er startete mit dem Restaurant KOMU in München direkt auf zwei Sterne. Und Edip Sigl vom Restaurant ES:SENZ im oberbayerischen Grassau schaffte mit dem dritten Stern den endgültigen Sprung in den Olymp der deutschen Köche. Außerdem erhielten zehn Restaurants den inzwischen etablierten grünen Stern für nachhaltiges Arbeiten und 15 Restaurants erhielten den Bib Gourmand für ein besonders gutes Preis-Genuss-Verhältnis ihrer Menüs. Eine komplette Aufstellung der neuen Sterneträger finden Sie hier…

Vollkommen unpassend sind Stimmen von außen, die die Michelin-Zeremonie in dieser Form in Frage stellen und meinen, dass man die Prämierung der neuen Sterneträger in einem reinen Onlineformat durchführen soll. Wer am 26. März dabei sein durfte und die Freude, die Emotionen der Ausgezeichneten vor Ort erleben konnte, kann einem solches Gedankenspiel nicht ernsthaft nachgehen. Die Sterne müssen auch in den kommenden Jahren in einem feierlichen Rahmen persönlich den neuen Sterne-Köchen übergeben werden. In allen Bereichen wird aktuell von Wertschätzung gesprochen. Diese sollte man auch der deutschen Spitzengastronomie zugestehen.

Doch wohin geht der Weg der Michelin-Restaurants in Deutschland? Längst haben Sterne-Restaurants ein Finanzierungsproblem. Immer weniger Gäste sind bereit 200,- € aufwärts für ein Menü zu zahlen. Die Zeiten, in denen sich Gäste viele Tage im Voraus auf die Reservierungslisten schreiben ließen, sind wohl endgültig vorbei. Anschaulich wird das am Beispiel des Berliner Restaurants Nobelhart & Schmutzig. In der Berliner Friedrichstraße wird das Konzept grundlegend geändert. Man reagiert auf geänderte Kundenwünsche. Statt wie bisher 10 kleine Gänge gibt es jetzt ‚nur‘ noch sechs Gänge, die außerdem etwas vereinfacht daherkommen. So kann man Kosten sparen und von Dienstag bis Donnerstag das Menü für jetzt 115,- € statt 195,- €, am Freitag und Samstag für 130,- € statt 225,- € anbieten. „Das Essen wird bodenständiger. Weniger Fine Dining, mehr casual“, so fasst es Gründer und Wirt Billy Wagner zusammen.

Auffallend ist es, dass man einen großen Teil der neu ausgezeichneten Restaurants nicht mehr in den Großstädten ab 500.000 Einwohnern findet, sondern in kleineren Städten oder im ländlichen Bereich. Hier scheint sich die Struktur der Verteilung an hochwertigen Restaurants grundlegend zu ändern. Nimmt man Berlin, hat es mit dem Restaurant Hallmann und Klee in Neukölln nur Küchenchefin Sarah Hallmann geschafft sich einen neuen Stern zu erkochen. Trugen 2023 noch 17 Restaurants in der Bundeshauptstadt einen Stern, sind es durch Konzeptänderung und Schließung jetzt nur noch 15. Nicht viel besser sieht es in München aus. Lediglich der große Erfolg des KOMU konnte hier die Bilanz etwas aufhübschen. Und so könnte man den Jahresvergleich der deutschen Großstädte fortsetzen, Hamburg macht hier eine kleine Ausnahme. Nur neun der zweiunddreißig Restaurants, die erstmals einen Stern erhielten, findet man in den Großstädten. Man kann durchaus von einer Stadtflucht der Sternegastronomie sprechen. Das muss nichts Schlechtes sein, findet man in Ländern wie Frankreich oder Italien die Spitzengastronomie doch oft im ländlichen Raum, vielfach in kleinsten Ortschaften. Doch für die Struktur in Deutschland ist dies ungewöhnlich, aber durchaus nachvollziehbar. Ein Grund sind sicherlich die exorbitanten Mieten im Bereich der Großstädte. Nicht nur die Kosten für die Restaurants selbst schlagen hier zu Buche, auch die Mieten der Wohnungen für Mitarbeiter sind für viele, gerade junge Menschen schwer zu stemmen. Aber ohne gutes Personal keine Sternegastronomie, da können die Küchenchefs noch so wunderbare Gerichte zaubern. Die hohen Mieten ziehen in vielen Restaurants eine Getränkekalkulation nach sich, die dem Gesamtumsatz und damit auch dem Gewinn oft abträglich ist. Wenn man sieht, dass man z.B. in München für ein 0,1 Glas Wein durchschnittlicher Qualität ab 9,- € zahlt, für eine mäßig gute Weinbegleitung schnell bei 130,- € und mehr ist, dann steht dies nicht mehr im Verhältnis zu dem, was man in sein Glas bekommt. Hier wird oft das Fünffache des Einkaufspreises berechnet. Über die Kalkulation von Wasser und Co. wollen wir hier gar nicht erst reden.

Die deutsche Gastronomie steckt in einer Krise, dies gilt auch, oder besonders, für die Sternegastronomie. Viele Gründe sind hausgemacht. Über Jahrzehnte hat die Gastronomie sich das Image der überdurchschnittlich hart arbeitenden Branche aufgebaut. Große Arbeitsleistung für wenig Lohn, schlechte Arbeitszeiten und ein rauer Umgangston stehen für das Bild der Gastronomie in der Öffentlichkeit. Doch es geht auch anders, immer wieder erzählen Restaurantinhaber, dass sie keine Personalprobleme haben, sie sich über einen stabilen Stamm an Mitarbeitern freuen können. Auch das trägt schließlich zur konstanten Qualität eines Restaurants bei. In diesen Häusern wurden Probleme als Chancen begriffen. Ein fairer Umgang mit den Mitarbeitern ist dabei eine Grundvoraussetzung, faire Löhne, Fünf-Tage-Woche und wenig Überstunden, so kann es funktionieren. Und zum Glück hat sich auch der Umgangston in vielen Küchen deutlich verbessert. Sicherlich ist der Anteil weiblicher Köche nicht zuletzt deswegen in den vergangenen Jahren angewachsen.

Doch auch gesellschaftlich ist Deutschland noch immer ein kulinarisches Entwicklungsland. Wehe dem deutschen Politiker, der sich regelmäßig in den Gourmettempeln des Landes sehen lässt. Stimmenverluste bei der nächsten Wahl und eine Neiddiskussion in den bekannten Medien sind ihm gewiss, die Hetze auf den diversen Social Media Kanälen sicher. Da kann man die Franzosen nur loben, hier ist es selbstverständlich, dass sich deren Spitzenpolitker mit den Sterneköchen des Landes fotografieren lassen. Österreich hat gerade etwa 1 Mio. Euro investiert, um den Guide Michelin wieder für Bewertungen ins Land zu holen. Und auch Länder wie Kroatien und Slowenien gehen diesen Weg und unterstützen so ihre Gastronomie, fördern ihr internationales Ansehen. Bei uns wurde die Mehrwertsteuer ‚angepasst‘. Dies und viele Bürokratiemonster benachteiligen jedoch die individuellen Restaurants und fördern die Systemgastronomie in Deutschland. Wir Deutschen haben damit aber augenscheinlich kein Problem. Sicherlich haben viele Genussfreaks auch hierzulande gehofft, dass sich die Einstellung zu gutem Essen in unserer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten gebessert hat. Die Pandemie, ihre Nachwirkungen und die Inflation der letzten Jahre haben jedoch wieder herausgearbeitet, woran wir Deutschen am schnellsten sparen.

Die Grußworte zur Michelin-Gala 2024 von Gwendal Poullennec, dem Internationalen Direktor des Guide MICHELIN lauteten: „Ihrer Ausdauer, ihrem Ideenreichtum und ihrem unermüdlichen Tatendrang ist es zu verdanken, dass die Gastronomie überall im Land nach wie vor ein beständig hohes Niveau zeigt. Neben dem enormen Qualitätsanspruch ist auch ein stetig wachsendes Bewusstsein der Gastronom*innen für eine nachhaltige Ausrichtung der Restaurants deutlich erkennbar. In zahlreichen Betrieben stehen Regionalität, Saisonalität und Respekt vor den Lebensmitteln im Fokus. Dieses Engagement findet im Guide MICHELIN mit dem ‚Grünen Stern‘ eine verdiente Würdigung.“ Dies kann auf Dauer aber nur funktionieren, wenn Deutschland die Leistungen der Gastronomie endlich besser zu schätzen weiß. 

Über den Autor*Innen

Jörg Bornmann

Als ich im April 2006 mit Wanderfreak an den Start ging, dachte noch keiner an Blogs. Viele schüttelten nur ungläubig den Kopf, als ich Ihnen von meinem Traum erzählte ein reines Online-Wandermagazin auf den Markt zu bringen, welches eine hohe journalistische Qualität aufweisen kann, eine Qualität, die man bisher nur im Printbereich kannte. Mir war dabei bewusst, dass ich Reisejournalisten und Spezialisten finden musste, die an meine Idee glaubten und ich fand sie.