Nachhaltiges Wirtschaften ist nicht nur etwas für Großunternehmen. Auch im Weinbau verbreitet es sich immer mehr. Ähnlich wie bei Bioprodukten wird die Entwicklung dabei von zwei Seiten getrieben. Auf der einen gibt es Winzer, die aus Überzeugung nichts anderes tun wollen. Auf der anderen Seite werden auch von der Verbraucherseite her immer mehr Forderungen laut – und finden Gehör.
Château Karp kann man weder trinken noch kaufen. Auch mieten wird schwierig. Zumindest dann, wenn man sein Lager nicht mit Eidechsen oder Wildbienen teilen möchte. Château Karp ist ein spezielles Weinbergshäuschen, gelegen im Brauneberger Mandelgarten an der Mosel. Von außen erinnert es irgendwie an eine Mischung aus rheinhessischem Trullo und einem Backhäuschen. Das Innere entpuppt sich als kleine Schutzhütte für Spaziergänger und Wanderer. Château Karp ist eine Art „Insekten- und Reptilienhotel de luxe“, mit Trockenmauern, Moosen und mit kleinen Rückzugskammern für alles was kreucht und fleucht. Benannt wurde es nach seinem Erbauer, dem Weingut Karp-Schreiber.
Das Häuschen ist zweifellos einer der Hingucker beim Projekt „Lebendige Moselweinberge“. Vor zehn Jahren hatten ökologisch ehrgeizige Winzerinnen und Winzer mit öffentlicher Unterstützung damit begonnen, Pflanzen und Tieren wieder mehr Lebensraum zwischen den Reben zu bieten. Heute ist das Anbaugebiet Mosel die Vorzeigeregion in Sachen Biodiversität im Weinbau. Entlang des Flusses entstanden bisher mehr als 100 sogenannter „Lebenstürme“ – sozusagen die etwas einfachere Ausführung des Château. Auch sie sind ein kleines Paradies für Insekten, Parasiten, Reptilien und selbst kleine Schlangen.
Traditionell werden die Steillagen nicht nur an der Mosel längs terrassiert, also von oben nach unten. Damit sind sie aber nur äußerst mühsam und entsprechend kostenintensiv zu bewirtschaften. Bei der Lage Traben-Trarbacher Goldgrube hat man sich vor ein paar Jahren anders entschieden, die Rebzeilen um 90 Grad gedreht und damit querterrassiert. Seither ist die Arbeit durch den Einsatz von Maschinen deutlich einfacher geworden. Darüber hinaus bilden die kleinen Böschungen der zahlreichen Terrassen ein ideales Terrain für buntblühende Grünstreifen, in denen es nur so brummt und summt. Und: bei stärkeren Niederschlägen halten Querterrassen und Blühstreifen deutlich besser das Wasser zurück und schützen so vor Erosion. „Querterrassierungen machen derzeit allerdings nur einen kleinen Teil des Weinbaus an der Mosel aus“, berichtet Stefanie Vornhecke, Vizepräsidentin des dortigen Weinbauverbands und zugleich eine der treibenden Kräfte in Sachen Biodiversität. Der Umbau in Traben-Trabach ist ein Forschungsprojekt des Dienstleistungszentrums für den ländlichen Raum (DLR). Die Biologin Juliane Schmidt zählt dort u.a. Tagfalter und Wildbienen, eine Art Frühmonitoring für Artenvielfalt im Weinberg. An seinen Rändern fallen zahllose große, blau blühende Blumen ins Augen. „Das ist der Blaue Natternkopf“, erklärt Juliane Schmidt, „die sind für Wildbienen geradezu ein Eldorado bei der Nektarsuche.“
Die Weinbauhochschule im Rheingauörtchen Geisenheim nähert sich wissenschaftlich dem Thema Biodiversität im Weinberg. Gefördert mit Mitteln des Bundesumweltministeriums geht sie der Frage nach, wie sämtliche Freiflächen eines Weinguts optimal gestaltet sein sollten, um so die Biodiversität zu verbessern. Einen wichtigen Beitrag leisten Blühstreifen, aber welche Saatgutmischung eignet sich hierfür am besten, gerade im Zeitalter des Klimawandels? „Gerade im Weinbau gibt es ein großes Potenzial für mehr Artenvielfalt“, betont Prof. Ilona Leyer vom Institut für angewandte Ökologie der Hochschule. Als Modellweinberg nicht nur in Sachen Ökologie dient ihr der Assmannshäuser Höllenberg unweit von Rüdesheim, der nach ganz ähnlichen Kriterien bewirtschaftet wird wie die Traben-Trarbacher Goldgrube. Das Hessische Staatsweingut als alleiniger Eigentümer kann sich die enormen Kosten für die Umgestaltung leisten. Viele vor allem kleine Winzer können es nicht.
Die Förderung der Biodiversität ist jedoch nur ein Teil des zunehmenden Umdenkens im deutschen Weinbau. Nachhaltigkeit umfasst nicht nur die Arbeit im Wingert, sondern den gesamten Prozess der Weinerzeugung. Und er schließt auch ökonomische Aspekte sowie die der sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung ein. Wie in nahezu allen Wirtschaftszweigen liegt einer der Hauptaugenmerke im Bereich Ökologie darin, den Ausstoß an Kohlendioxid zu reduzieren. Denn wie jedes Produkt so hinterlässt auch der Wein bei seinem Entstehungsprozess und auf dem Weg zum Konsumenten einen CO2-Fußabdruck. Modellrechnungen gehen insgesamt von rund einem Kilo pro Liter Wein aus. „Die deutsche Weinwirtschaft könnte in ihrer Wertschöpfungskette rund 50 Prozent ihrer CO2-Emissionen einsparen, sagt Dr. Helena Ponstein, weltweit tätige Expertin für Klimaschutz im Weinbau. Zum Beispiel durch den Aufbau von Mehrwegsystemen. Heute landen die meisten Flaschen als Einwegprodukte im Glascontainer. Oder durch den Einsatz leichterer Flaschen. Fast ein Drittel des CO2-Fußabdrucks im Weinbau entfällt auf die Behältnisse. „Ob eine Flasche 800 Gramm wiegt oder nur 500 – das macht einen Riesenunterschied“, so Ponstein. Dies gilt nicht allein für die Herstellung, sondern auch für den Transport: je schwerer, desto energieintensiver. Und damit zugleich auch teurer. Immer häufiger sind sogenannte Leichtflaschen im Einsatz, die nur um die 400 Gramm wiegen und dennoch die nötige Stabilität bieten.
Mehrere Organisationen haben sich auf die Fahnen geschrieben, Weinbaubetriebe in Sachen Nachhaltigkeit auf den Zahn zu fühlen, sie bei der Weiterentwicklung zu unterstützen und auch zu zertifizieren. Eine dieser Organisationen ist der Verein Fair & Green mit Sitz in Bonn, dem gut 80 Betriebe in Deutschland und dem deutschsprachigen Ausland angehören. Nach 160 Kriterien nimmt Fair & Green die Weinbauern unter die Lupe. Auf dem Umweltsektor gilt ihr Hauptaugenmerk den Bereichen CO2-Einsparung, Klimaschutz, Abwasser und Biodiversität. Weniger Energie, weniger Wasser, weniger Abwasser lautet hier das Ziel. Bei den ökonomischen Faktoren spielen u.a. die Themen Innovationen und Investitionen eine Rolle. Beim Sozialen wiederum wollen die Zertifizierer zum Beispiel wissen, wie der Umgang mit Saisonarbeitern geregelt ist und wie es um die innerbetriebliche Aus- und Weiterbildung bestellt ist. Ökologie und Ökonomie schließen sich dabei grundsätzlich nicht aus: wer Energie einspart, der spart schließlich auch Geld. Ziel der Fair & Green-Betriebe, ihre Nachhaltigkeitsbilanz jährlich um mindestens drei Prozent zu verbessern. „Da gibt es an allen Ecken und Enden noch Verbesserungsmöglichkeiten“, stellt Winzer Stefan Braunewell aus dem rheinhessischen Essenheim fest. „Das ist ein Prozess, der praktisch nie endet.“
Allerdings ist nicht jeder mit dem Ansatz von Fair & Green zufrieden. „Green Washing“ nennt es beispielsweise Winzer Thorsten Melsheimer aus Reil an der Mosel, der seine Weinberge nach Demeter-Kriterien bewirtschaftet. Dass es Fair & Green erlaube, chemische Pflanzenschutzmittel zu verwenden, „das geht gar nicht“. Melsheimer betrachtet sich selbst als „Bauer und Landbewahrer“. Und er geht sogar noch einen Schritt weiter. Wein sei letztlich ein „Luxusprodukt, das kein Mensch zum Leben braucht. Und für das es sich einfach nicht lohnt, mit Chemie unsere Böden kaputtzumachen.“ Für Melsheimer ist es auch nicht einzusehen, im Zeitalter zunehmenden Wassermangels Weinberge zu bewässern. „Es ist gut, dass wir auf freiwilliger Basis eine regelmäßige Kontrollinstanz haben“, ist dagegen Fair&Green-Mitglied Theresia Breuer vom Weltklasseweingut Georg Breuer in Rüdesheim überzeugt.
Noch steckt konsequent nachhaltiges Wirtschaften in Deutschland in den Kinderschuhen. Dass es auch kleinere Betriebe sehr weit bringen können, gerade in Sachen CO2, zeigt das Weingut Egon Schmitt im pfälzischen Bad Dürkheim. Als eines der ersten Weingüter in Deutschland erzeugt der 20 Hektar große Familienbetrieb seine Weine CO2-neutral. „Nur wenn man die ökologischen Kosten nicht einfach externalisiert, sondern als verantwortungsvoller Unternehmer dazu bereit ist, diese selbst zu tragen, handelt man nachhaltig“, ist Winzer Jochen Schmitt überzeugt.
Über den Autor*Innen
Klaus Pfenning
Klaus Pfenning wuchs am Rande des Odenwalds auf – und damit eher mit Apfelwein. Erst im frühen Erwachsenenalter wurde ihm bewusst, dass sich auch aus anderen Früchten wunderbare Weine herstellen lassen. Vor allem aus Trauben, weißen wie roten. Vor 30 Jahren verlegte der Naturliebhaber seinen Lebensmittelpunkt an die Badische Bergstraße. Von dort aus kann er nicht nur den heimischen Winzern bei der Arbeit zuschauen. Sondern auch hinüberblicken in die Pfalz und nach Rheinhessen. Dem wachsenden Interesse am Wein konnte das nicht schaden.