Als der Guide Michelin 2020 zum ersten Mal auch grüne Sterne für nachhaltiges Arbeiten in der Gastronomie verlieh, ging ein Aufschrei durch weite Teile der Fachpresse und selbst manch Ausgezeichneter lehnte sich dagegen auf. Von Greenwashing war gar die Rede, dabei spielt aber sicherlich auch die mangelnde Transparenz von Michelin in Bezug auf ihre Bewertungen eine wesentliche Rolle.
In diesem Jahr, 2023, wurden die grüne Sterne zum vierten Mal verliehen und die Wogen haben sich beruhigt. Auch das Konzept der Auszeichnung für nachhaltige Gastronomie hat inzwischen seine Fans gefunden und die Ausgezeichneten hängen das Schild mit dem grünen Stern zu Recht mit großem Stolz neben die Eingangstür zum Restaurant.
Der grüne Stern steht für Restaurants, die mit regionalen und saisonalen Zutaten arbeiten, auf artgerechte Tierhaltung achten und dabei Ressourcen schonend arbeiten. Auch die Verantwortung für Mitarbeiter mit Schulung und der Vermittlung des Bewusstseins für das Thema Nachhaltigkeit spielt eine wesentliche Rolle. Es sollte das Ziel sein, in Zukunft auch bei der traditionellen Sterneverleihung ausschließlich Restaurants zu dekorieren, die sich diesem nachhaltigen Weg nicht verschließen. Nachhaltigkeit in der Gastronomie muss das Fundament für Spitzenleistungen in der Küche sein.
Bereits zum vierten Mal hat am 4. April 2023 Marcello Gallotti mit seinem Restaurant Erasmus in Karlsruhe den grünen Stern erhalten. Ein Grund für mich, seine Frau Andrea und Marcello am Abend vor der Michelin-Zeremonie zu besuchen, ein Menü zu probieren und im Gespräch mit den Beiden die nötige Transparenz zum Thema Bio-Restaurant und grüne Sterne zu gewinnen.
Genussfreak: „Liebe Andrea, lieber Marcello, vielen Dank zunächst einmal für das tolle Menü. Ein wunderbarer Einblick in Eure Küche. Morgen steht ja wieder die Verleihung der Michelin-Sterne an. Wie aufgeregt seid Ihr schon?“
Andrea: „Sehr, Marcello wird von Tag zu Tag angespannter. Ich habe ja gedacht, dass sich das im Laufe der Zeit bessert, aber Jahr für Jahr kommt die Nervosität und Anspannung einige Tage vor dem Event.“
Genussfreak: „Wie wichtig ist für Euch der grüne Stern und wie würdet Ihr Euer Gastro-Konzept mit wenigen Worten beschreiben?“
Marcello: „Unser Restaurant ist biozertifiziert, daher verarbeiten wir vom Bio-Ei bis zu MSC-zertifiziertem Fisch nur beste Ware. Die Prinzipien „Nose to tail“ (Verarbeitung des gesamten Tiers) und „Root to leaf“ (Nutzung der kompletten Pflanze) setzen wir zu 100% wo immer es geht um. So möchten wir unseren Gästen gelebte Genussvielfalt ohne Reue, aber auch ohne Radikalität ermöglichen. Auch wenn wir schon viele Jahre mit dieser Philosophie gearbeitet haben, bevor wir das erste Mal den grünen Stern erhalten haben, ist der grüne Stern von Michelin eine wunderbare Auszeichnung unserer Arbeit in der Küche und im Service. Außerdem hat uns die Auszeichnung, die wir hoffentlich morgen zum vierten Mal erhalten, in Karlsruhe aber auch überregional, viel Bekanntheit gebracht."
Andrea: „Unsere Philosophie umzusetzen bedarf viel Arbeitseinsatz. Wir kennen viele unserer Landwirte persönlich, sprechen und diskutieren mit ihnen und meistens fallen uns auch die richtigen Fragen ein. Aber das alles kostet deutlich mehr Zeit, als wenn ich in einem Großmarkt für das Restaurant einkaufe. Umso schöner ist eine solche Auszeichnung, die uns das Gefühl gibt, vieles richtig zu machen.“
Genussfreak: „Wie hat sich die Idee zu Eurem Restaurant entwickelt?“
Marcello: „Ich sage immer, unsere Arbeit ist italienische Software kombiniert mit regionaler Hardware. Das Kochen habe ich in Italien gelernt, Andrea hat in Italien studiert und 2012 auf Englisch und Italienisch ihre Bachelorarbeit zum Thema ‚Energetische Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft‘ verfasst. Wir sind also sehr italienisch geprägt, arbeiten hier aber zu großen Teilen mit Produzenten aus der Region.“
Andrea: „Seit 2016 sind wir Bioland-Partner und damit Deutschlands erstes Bio-Fine-Dining-Restaurant, für Gäste, die sich nach konkreter Nachhaltigkeit sehnen, für die Umwelt, das Tierwohl und die Zukunft unserer Kinder. Die von uns verwendeten Zutaten sind zu 99 % biozertifiziert oder wild, kommen weitestgehend aus nächstliegender kleinbäuerlicher Landwirtschaft und stehen für eine handwerkliche, diversifizierte Lebensmittelkultur.“
Genussfreak: „Könnt Ihr mir bitte einige Eurer Lieferanten nennen, damit unsere Leser nachvollziehen können, wie Ihr Eure Ideen zu Slow-Food, Biozertifizierung und Nachhaltigkeit umsetzt?“
Marcello: „Unser Obst und Gemüse und Eier erhalten wir z.B. vom Biolandbauer Horst Reiser in Straubenhardt, vom Naturkosthandel Rinklin in Eichstetten erhalten wir die Milch, Quark, Joghurt, Butter aus Bioland Schwarzwaldmilch bzw.- heumilch. Die verwendeten Hülsenfrüchte, Getreide, Olivenöl, Oliven, geschälte Tomaten, Kapern sind Direktimporte von kleinen Biobetrieben in Italien, die uns auch einen fairen Umgang mit ihren Mitarbeitern garantieren und besondere Sorten kultivieren. Und Käse kommen teilweise direkt von kleinen Biobetrieben in Deutschland, Italien und den Niederlanden oder von Spitzenaffineuren wie Hervé Mons, Fiorenzo Giolitto und Markus Kober, die es meisterlich verstehen (Bio-)Käse auf den Punkt reifen zu lassen. Unsere Nudeln aus Hartweizen, Pasta al grano duro, werden aus der alten Weizensorte „Senatore Cappelli“ mit ausschließlich italienischem Weizen natürlich bio produziert.“
Genussfreak: „Welche Rolle spielt der Fleischverbrauch und das Umdenken der Gesellschaft zu vegetarischem oder veganem Essen?“
Andrea: „Wir leben das Motto ‚From nose to tail‘. Statt für die Fleischgerichte nur die Premiumstücke wie Filet oder Rücken einzukaufen, werden in der Küche grundsätzlich komplette Tiere verarbeitet. So kommen die Gäste des Restaurants Erasmus teilweise zum ersten Mal in den Genuss des Geschmacks von Füßen, Nieren und Zungen. Wie vorzüglich das schmecken kann, zeigt mein Mann immer wieder mit den Kreationen aus seiner Küche.“
Marcello: „Wir haben immer verschiedene vegetarische Gerichte auf unserer Speisekarte. Gerade die italienische Küche bietet viele traditionelle Gerichte ohne Fleisch und das ist die Küche meiner Mamma, meiner Nonna, das ist meine DNA. Es ist die sogenannte ‚Cucina povera italiana‘, die arme Küche Italiens. Ich bin gegen die Fleischindustrie, genauso wie ich gegen die Bio-Industrie bin. Trotzdem bin ich ein Verfechter der Nutztierhaltung. Über viele Jahrhunderte haben wir Menschen Tierrassen gezüchtet, die uns bei der Arbeit geholfen haben, oder uns ernährten. Ein Verzicht auf den Fleischkonsum hätte zur Folge, dass diese Vielzahl an Rassen innerhalb weniger Jahrzehnte nahezu aussterben würden. Ein unendlicher Verlust. So setzen wir uns bereits seit vielen Jahren für den Rassenerhalt des Sundheimer Huhns ein. Ich denke, dass wir in Deutschland immer mehr merken, wie wichtig es ist, viele verschiedene Nutztierrassen zu halten. Diese sind dabei natürlicher, krankheitsresistenter und damit umweltverträglicher mit weniger Antibiotika etc. zu halten und damit auch für uns gesünder und wohlschmeckender.“
Genussfreak: „Und woher bezieht Ihr die Tiere?“
Andrea: „Einzelfleischstücke kommen von biozertifierten Tieren von der Schwäbisch Hällischen Erzeugergemeinschaft. Ganze Tiere wie Glanrind und Presidio bekommen wir vom Demeterbauern Simon vom Bainerhof in Waldböckelheim, Schweinefleisch grundsätzlich als ganze Biotiere bzw. Demetertiere der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall, Lammfleisch von der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall und das lässt sich entsprechend fortsetzen.“
Genussfreak: „Neben dem Restaurant betreibt Ihr auch einen Feinkostladen. Was kann man dort erwarten?“
Andrea: „Feine, handwerklich wertvolle Bio-Feinkost: Pasta aus alten Getreidesorten, Naturwein, reinsortiges Olivenöl, direkt importierte italienische Salami, meisterlich gereifte Käsespezialitäten, handgeschöpfte Fairtradeschokolade, piemontesische Haselnüsse, besonderer Risottoreis, eingelegtes Gemüse, von uns Eingewecktes, kleine und große Geschenke und vieles mehr. Also alles Genussmittel, die wir, in der gleichen Bioqualität, auch in unserer Küche einsetzen.“
Genussfreak: „Liebe Andrea, lieber Marcello, vielen Dank für das spannende, informative Gespräch. Ich denke spätestens nach einem Besuch in Eurem Restaurant stellt sich die Frage nach der Berechtigung und Wichtigkeit eines grünen Sterns von Michelin nicht mehr.“
Restaurant erasmus
Nürnberger Str. 1
76199 Karlsruhe
Über den Autor*Innen
Jörg Bornmann
Als ich im April 2006 mit Wanderfreak an den Start ging, dachte noch keiner an Blogs. Viele schüttelten nur ungläubig den Kopf, als ich Ihnen von meinem Traum erzählte ein reines Online-Wandermagazin auf den Markt zu bringen, welches eine hohe journalistische Qualität aufweisen kann, eine Qualität, die man bisher nur im Printbereich kannte. Mir war dabei bewusst, dass ich Reisejournalisten und Spezialisten finden musste, die an meine Idee glaubten und ich fand sie.