Der Begriff Terroir geht Weinliebhabern seit einiger Zeit ähnlich flüssig oft über die Zunge wie Riesling oder Spätburgunder. Dabei ist vielen gar nicht so recht klar, was es mit diesem Begriff so wirklich auf sich hat.
Der Weinberg sieht nicht wirklich spektakulär aus. Eher unscheinbar, fast schon beliebig. Direkt hinter der Kirche des kleinen Orts gelegen, nur sanft ansteigend, mehr ein Weinhügel als ein Weinberg. Auch der Boden hauptsächlich aus verwittertem Buntsandstein und Kalksteingeröll lässt nicht zwangsläufig aufhorchen. Und dennoch: die kleine Einzellage mit gerade einmal 3,6 Hektar gilt als eine der besten Rieslinglagen der Welt, vielleicht sogar die beste überhaupt. Und eine der teuersten dazu. Die Rede ist vom Kirchenstück im Pfälzer Winzerörtchen Forst, etwa auf halbem Weg zwischen Bad Dürkheim und Neustadt an der Weinstraße.
Das Forster Kirchenstück ist die bestbewertete Lage der mit hochwertigen Weinen übersäten Pfalz. So zumindest will es die König Bayerische Grundsteuerfestlegung aus dem Jahre 1828. Die Pfalz, man mag es glauben oder nicht, war von 1777 bis 1946 Teil von Bayern. König Ludwig I. ließ zu Beginn des 19. Jahrhunderts dort einen Hafen anlegen – Ludwigshafen. Das Kirchenstück grenzt unmittelbar westlich an die Wohnbebauung des 800 Seelen-Örtchens an und liegt direkt hinter der Margaretenkirche. Die aus Sandstein gebauten Gebäude am Ortsrand und die das Kirchenstück umgebenden Sandsteinmauern speichern tagsüber die Sonnenwärme, die sie bei Nacht wieder abgeben. Die warme Luft erzeugt zudem einen leichten, trockenen Windstrom, der die Feuchtigkeit aus der Lage weht. Rieslinge aus dem Forster Kirchenstück kosten heute bis zu 100 Euro pro Flasche. Ältere Jahrgänge sind sogar noch deutlich teurer.
Viel mehr als nur Boden
Fragt man Winzer oder auch Weinliebhaber nach der Bedeutung des Begriffs Terroir, sprechen sie oft nur von den Böden. Von Schiefer, Kalk, Buntsandstein oder auch Vulkangestein. Der Begriff Terroir stammt aus dem Französischen. Bei unseren genussfreudigen Nachbarn bedeutet er einfach nur „Gegend“. Ein „Produit du Terroir“ kommt eben von hier. Ein „Vin du Terroir“ ist demnach einfach ein Wein aus der Gegend, mit all ihren regionalen oder lokalen Eigenschaften. Und die umfassen mehr als nur die Böden.
Neben den Böden, ihrer Wasserspeicher- wie auch ihrer Wasserdurchlässigkeit bestimmen vor allem zwei Faktoren das Terroir: die Lage des Weinbergs und das ihn bestimmende Klima. Dazu zählen Höhenlage, Hangneigung, Ausrichtung, Temperatur, Wind und Niederschläge. „Der Boden ist unser Kapital“, sagt Axel Neiss vom Weingut Ludi Neiss in Kindenheim. „Er ist zweifellos wichtig, aber er ist nicht alles.“ Neiss‘ Weinberge sind ein Paradebeispiel für unterschiedliche Terroirs. Ganz im Norden der Pfalz und nur einen Weinberg von Rheinhessen entfernt ist es spürbar kühler als an der Mittelhardt rund um Deidesheim. Dies bringt ganz andere Weine hervor als 30 Kilometer weiter südlich.
Können des Winzers ist Teil des Terroirs
Weil es zudem in der Nordpfalz und in Rheinhessen kaum schützenden Wald gibt, wehen oft Westwinde über die Reben. Auch sie beeinflussen den Charakter des Weins. „All diese Gegebenheiten können wir nicht verändern“, fügt Neiss hinzu. Sondern nur mit ihnen umgehen. Was bedeutet, dass auch der Mensch ein sehr wichtiger Teil des Terroirs ist. „Terroir – das sind auch Fähigkeiten des Winzers, aus allen Gegebenheiten das Beste herauszuholen“, formuliert es Katharina Graeff, Winzerin von der Nahe und amtierende deutsche Weinprinzessin.
Und dennoch reden nahezu alle nur über die Böden. Aber schmeckt man nun wirklich den Schiefer, den Kalk, den Buntsandstein? Ein auf Schiefer gewachsener Riesling schmeckt zweifellos anders als einer vom Buntsandstein. Wobei ja die Steine an sich nicht zu schmecken sind. „Die Rieslingwurzel lutscht ja nicht am Schiefer“, sagt Cecilia Jost vom Weingut Toni Jost in Bacharach am Mittelrhein. Was richtig ist – und doch nicht ganz. Über oftmals tief reichende Wurzeln nehmen die Reben zwar nicht die Mineralien des Bodens auf, aber dennoch seine Eigenschaften. Und damit schmeckt jeder Boden anders, wenn auch nicht nach dem Gestein selbst.
Learning bei Drinking
Erklären lässt sich das möglicherweise so. Weizenbier schmeckt ja auch nicht wirklich nach Weizen. Oder hat der Weizenbiertrinker schon jemals so wirklich ins Weizenkorn gebissen? Aber jeder Weizenbiertrinker wird ein gutes Weizen auch in tiefschwarzer Nacht als solches erkennen. So oder zumindest so ähnlich muss man es sich auch bei Buntsandstein, Kalk oder Basalt vorstellen. Die Übung schult die Sensorik. Learning by drinking sozusagen.
„Riesling reagiert auf den Boden am stärksten“, ist Nahewinzer Rainer Marx überzeugt. Ludi Neiss philosophiert sogar, „dass der Riesling die Steine zum Singen bringt“. Die Unterschiede herauszuschmecken, ist die hohe Kunst der Sensorik. Und diese ist nur wenigen wirklichen Weintrinkern vorbehalten, zahllose andere schwadronieren einfach nur munter drauf los. „Klar, schmeckt eindeutig nach Melaphyr“, wird da der ein oder sagen im Brustton der Überzeugung sagen. Wer Etiketten liest, ist dabei klar im Vorteil.
"Super Terroir" Forst und Nahe
Für wirkliche Experten lässt sich die Vielfältigkeit der Böden auf kleinstem Raum kaum besser schmecken als im eingangs erwähnten Forst. Auf gerade einmal 200 Hektar oder zwei Quadratkilometer Rebfläche reiht sich hier eine Spitzenlage an die nächste. Im Jesuitengarten, gleich neben der Superlage Kirchenstück, dominiert der Sandstein, im Ungeheuer der Kalk und im Pechstein – nomen est omen – der pechschwarze Basalt.
Noch viel mehr „Boden-Terroir“ gibt es rund um Bad Kreuznach an der Nahe. Dort hat es in der Erdgeschichte kräftig geköchelt und rumort, gehoben und geschoben. Entsprechend vielfältig sind heute die Böden. Geologen haben 180 verschiedene Arten identifiziert, so viel wie in keinem anderen deutschen Anbaugebiet oder vielleicht sogar weltweit. „Nach jeder Kurve haben wir einen anderen Boden“, formuliert es Rebecca Crucius vom Weingut Dr. Crusius in Traisen. Etwa ein halbes Dutzend verzeichnet Winzer Rainer Marx auf seinen gut zehn Hektar.
Paradebeispiel Kleine Kalmit
Dass Terroir weit mehr ist als nur der Boden, wird an der Kleinen Kalmit westlich von Landau besonders deutlich. Das urzeitliche Korallenriff ragt 80 Meter aus der Umgebung heraus. Noch heute finden sich dort urzeitliche Schnecken, Muscheln und sogar kleine Haifischzähne. Die Kalkböden sind überall die gleichen. Aber ganz im Gegensatz zum Rest der Pfalz wachsen die Reben außer in unterschiedlichen Höhenlagen in allen vier Himmelsrichtungen. Dazu haben sie in Sachen Wind neben einer Luv- auch eine Lee-Lage. Die Folge: sehr unterschiedliche Weine auf nur wenigen Hektar.
Fazit: unterschiedlichste Böden, Höhenlagen, Hangneigungen, Himmelsrichtungen, Niederschlagsmengen, Winde – und dazu auch noch die Handschrift des Winzers. Letztlich hat damit jeder Weinberg, egal welche Qualitäten er hervorbringt, sein ganz eigenes, höchst individuelles Terroir. Im Kampf um den Kunden ist Terroir letztlich aber auch ein mittlerweile leicht abgegriffenes Modewort, das sich auf dem Etikett gerne für Marketingzwecke nutzen lässt. „Kalkmergel“ klingt eben doch ein wenig hipper als „Weingut Müller“.
Über den Autor*Innen
Klaus Pfenning
Klaus Pfenning wuchs am Rande des Odenwalds auf – und damit eher mit Apfelwein. Erst im frühen Erwachsenenalter wurde ihm bewusst, dass sich auch aus anderen Früchten wunderbare Weine herstellen lassen. Vor allem aus Trauben, weißen wie roten. Vor 30 Jahren verlegte der Naturliebhaber seinen Lebensmittelpunkt an die Badische Bergstraße. Von dort aus kann er nicht nur den heimischen Winzern bei der Arbeit zuschauen. Sondern auch hinüberblicken in die Pfalz und nach Rheinhessen. Dem wachsenden Interesse am Wein konnte das nicht schaden.