Keine Region prägt die Geschichte Mitteleuropas so sehr wie der Alpenraum. Erstreckt sich dieses gewaltige Gebirgsmassiv doch von Slowenien bis fast an die französische Mittelmeerküste, einmal quer durch einen großen Teil unseres Kontinents. Die Alpen trennen Welten, die Alpen vereinen Kulturen, die Alpen schreiben Geschichte, die Alpen führen zusammen - und dies bereits seit tausenden von Jahren. Völkerwanderungen, uralte Handelswege, Übergang für große Armeen und nicht zuletzt Schlachtfeld in vielen Kriegen. Die Alpen und die angrenzenden Regionen sind ein Schmelztiegel der Geschichte.
Und so muss man sich nicht wundern, dass diese riesige Region auch kulinarisch eine wunderbare Vielfalt aufweist. Hier trifft in Südtirol die Knödelküche auf die Pasta Küche, die Küche der K+K-Monarchie auf die Balkanküche. Gewürze und Salz wurden und werden auf den Handelswegen über die Alpen transportiert, der Weinbau wurde durch die Römer rund um den Alpenhauptkamp etabliert und zahlreiche, einzigartige Lebensmittel werden von jeher im Alpenraum angebaut und in den letzten Jahrzehnten wiederentdeckt. Oft sind es traditionelle, sogenannte Arme-Leute-Essen, die heute von Spitzenköchen durch die Liebe zu ihrer Heimat wiederentdeckt und neu interpretiert werden und Feinschmecker aus nah und fern in die Restaurants und Gasthäuser zum Entdecken der Alpinen Küche locken.
Wir möchten Ihnen einige Protagonisten dieser neuen alpinen Küche vorstellen, doch starten wir zunächst mit einer außergewöhnlichen Veranstaltung, die im vergangenen September 2019 erstmals in Zell am See im Salzburger Land stattgefunden hat, den Festspielen der Alpinen Küche.
Eine Riege engagierter Köche hat es sich in enger Zusammenarbeit mit Produzenten und Landwirten zum Ziel gesetzt hat, das kulinarische Erbe ihrer Heimat einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Als einen der Vorreiter darf man sicherlich 3-Hauben-Koch Andreas Döllerer aus Golling nennen, einer der besten Köche Österreichs und ein Aushängeschild der Alpinen Küche. Er hat sich getraut, ehemalige „Arme Leute“-Gerichte zu entstauben und ihnen einen Platz in seinem Kochbuch „Cuisine Alpine“ einzuräumen. „Ich habe vor etwa zehn Jahren meinen Kochstil und meine Produktphilosophie als ‚Cuisine Alpine‘ definiert, weil es für mich die glaubwürdigste Form der Küche ist. Ich freue mich auch, dass viele andere Betriebe diesen Stil ebenfalls umsetzen. Die Alpine Küche mag ‚trendy‘ sein, sie ist aber weit mehr als Trend“, so Andreas Döllerer.
Mit seinen Kollegen, Hubert Wallner, See Restaurant Saag, Techelsberg; Lukas Nagl, Restaurant Bootshaus, Traunkirchen; Vitus Winkler, Vitus Cooking im Verwöhnhotel Sonnhof, St. Veit im Pongau; Roland Essl, Ex-Patron im Weiserhof und nunmehr Erforscher der alpinen Küche; Michael Ploner und Thomas Penz, die Junioren Koch-Weltmeister 2018; Sven Wassmer, aus dem Restaurant „Memories“ im Grand Resort Bad Ragaz und Hannes Pignater aus der Adler Lounge Ritten war das Line-up der 1. Festspiele der Alpinen Küche hochkarätig besetzt. Vor einem begeisterten Publikum zeigten sie mit ihren Teams auf der Bühne die Zubereitung ihrer kulinarischen Visitenkarte (Signature-Dish), die man im Anschluss im Foyer des Ferry Porsche Congress Center Zell am See verkosten konnte, und vermittelten dabei ihre Idee zur Alpinen Küche.
Das Festival der Alpinen Küche ist sicherlich ein Highlight dieser Orientierung zu regionalen Produkten und traditionellen Gerichten. Die wichtige Entwicklung findet allerdings bereits seit Jahren in der Breite statt und so habe ich für sie einige Beispiele von Lebensmittelproduzenten, Köchen, Restaurants und Winzern zusammengetragen, die das stabile Fundament dieser kulinarischen Entwicklung zeigen.
Nur etwa 50 Kilometer von Zell am See entfernt, vorbei an der Festspielstadt Salzburg, gelangt man ins Salzburger Seenland. Rund um Grabensee, Mattsee, Obertrumer See und Wallersee hat man sich den Kräutern verschrieben. Das Salzburger Seenland ist Teil der Bio-Heu-Region, ein guter Boden für Heil-. Wild- und Küchenkräuter. So hat man bereits seit einigen Jahren die Aktion KRÄUTERleben gestartet und konsequent ausgebaut. Hier kann man verschiedenen Kräutergärten bei der Radtour ‚Von Kräutergarten zu Kräutergarten‘ anschauen, sich KräuterpädagogInnen und PraktikerInnen der traditionellen europäischen Heilkunde bei Workshops und Führungen unterhalten und lässt sich zum Abschluss von einem der KRÄUTERleben-Gastronomen kulinarisch mit regionalen Produkten und Spezialitäten verwöhnen. Die Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, altes Wissen zu sammeln, es zu erhalten und an die kommenden Generationen weiterzugeben.
Unsere kulinarische Reise führt uns weiter in die Steiermark, vielleicht das landschaftlich abwechslungsreichste Bundesland Österreichs. So führt uns unser Weg zunächst in die HOCHsteiermark, wo sich Hüttenwirte und ambitionierte Haubenköche rund um den HOCHschwab zusammengetan haben, um das kulinarische Erbe für die Hüttengäste zu verfeinern und den Wanderer mit Gaumenfreuden zu verwöhnen. Das appetitliche Angebot reicht von delikaten Räucherforellennockerln über Carpaccio vom freilaufenden HOCHlandrind bis hin zum berauschenden Gösserbiereintopf. Kreiert werden die Menüs mit regionaler Bodenhaftung. Zahlreiche Haubenköche, wie zum Beispiel Mike Johann in Bruck an der Mur, verwöhnen den Besucher der HOCHsteiermark zudem mit ihren Interpretationen der regionalen Küche.
Vorbei an der Landeshauptstadt Graz fahren wir in das Weingebiet der Steiermark. Hier treffen auf geografisch kleinem Raum mit Südsteiermark DAC, Vulkanland Steiermark DAC und Weststeiermark DAC drei Weinbauregionen mit kontrollierter Herkunftsbezeichnung aufeinander, die unterschiedlichste Stilistiken von Weinen hervorbringen. Vielen bekannt ist sicherlich der Schilcher, ein Rosé, der ausschließlich in der Weststeiermark aus der blauen Wildbachertraube gekeltert wird. Eine schöne Geschichte gibt es zum Morillon, so heißt der Chardonnay in der Südsteiermark. Erzherzog Johann soll einst eine kleine Gruppe Bauern nach Frankreich entsendet haben, um neue Rebsorten für die Steiermark zu finden. Nach langen Wochen der Reise kehrten sie schließlich in die Heimat zurück und brachten Chardonnay-Rebstöcke mit. Durch den reichlichen Weingenuss während der Reise hatten sie allerdings den Namen der Rebsorte vergessen und konnten sich nur an den Ort erinnern, in dem sie eine große Menge vorzüglichen Weins getrunken hatten. So heißt der Chardonnay in der Steiermark nach diesem Ort in Frankreich Morillon.
Doch nicht nur Wein gibt es in diesem südöstlichen Gebiet Österreichs, hier gibt es auch das schwarze Gold für Genießer, das Kürbiskernöl. Es wird aus den vorher gerösteten Kernen des Ölkürbis gepresst. So gewinnt man ein grünes Öl mit einem hohen Eigengeschmack, dass in vielen traditionellen Gerichten der Steiermark nicht fehlen darf. Ob eine Eierspeis mit Kürbiskernöl, ein steirischer Kartoffelsalat oder zur Nachspeise ein Schuss Kürbiskernöl übers Vanilleeis, die Rezeptideen mit Kürbiskernöl sind wunderbar vielfältig.
Weiter führt uns die kulinarisch Alpenreise nach Kärnten. Dort machen wir am Weingut Taggenbrunn einen Stopp. Hier ist in den letzten zwanzig Jahren ein wunderbares Projekt entstanden. Mit Kärnten verbinden die wenigsten Menschen Weinbau, doch war auch hier der Weinbau bis zur Reblausplage in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weit verbreitet. Seit einigen Jahren versucht eine gute Handvoll ambitionierter Winzer, den Weinbau in Kärnten wieder zu etablieren. Die Initiative der Unternehmerfamilie Riedl startete mit dem Kauf des Areals rund um die Burg Taggenbrunn 2011 und ist wohl das Projekt, dem international die größte Aufmerksamkeit geschenkt wird. Heute werden auf etwa 40Hektar Rebfläche wieder Sauvignon Blanc, Pinot Blanc, Pinot Gris, Riesling, Chardonnay, Traminer, Muskateller, Grüner Veltliner, Zweigelt und Pinot Noir angebaut, die im Keller durch Hubert Vittori zu hochwertigen Weinen vergoren werden. Über das Weingut Taggenbrunn gerät er ins Schwärmen: "Wir haben hier eine ideale Südlage, mit viel Sonne. Die Reben stehen auf günstigen Schieferböden, eine perfekte Voraussetzung für allerbeste Qualität."
Und schon sind wir wieder unterwegs, fahren die Drau entlang durch Osttirol bis in den nördlichsten Teil Italiens, nach Südtirol. Südtirol steht für Äpfel, Schinken, für Käse und Wein. In jedem Ort findet man traditionelle Gasthäuser mit teils hochwertigster Küche. Ein Beispiel dafür ist das Genießer- und Wanderhotel Augschneller. Siegi Augscheller kocht hier für seine Gäste feinste Südtiroler Küche und zeigt ihnen bei einem seiner Kochkurse auch sehr gerne, wie man aus den frischen, regionalen Produkten kleine Kunstwerke auf die Teller zaubern kann. Das Brot kommt vom regionalen Bäcker oder direkt aus dem Steinbackofen einer befreundeten Familie. Und wenn man früh genug aufsteht kann man ihn begleiten und beim Backen zuschauen. Fisch kommt von einer Fischzucht aus der Region und der Käse von den Almen des Tals. Nachhaltigkeit, Saisonalität und Regionalität sind hier nicht nur Modeworte, sondern Werte, die gelebt werden.
Für Weinliebhaber ist der Besuch des Weingutes Lageder südlich des Kalterer Sees ein Muss. Hier kann man nicht nur exzellente Südtiroler Weine verkosten, sondern auch viel über einen der Vorreiter des biodynamischen Weinbaus erfahren, Alois Lageder. Die Vineria Paradeis bietet den passenden Rahmen für eine Weinverkostung oder ein wunderbares Essen, das Küchenchef Alessandro Miragoli auf die Teller zaubert. Dabei nutzt er für das biologisch-zertifizierte Restaurant Produkte aus dem eigenen Gemüsegarten oder von einem der biologisch-dynamisch arbeitenden Landwirte, denen die Familie Lageder freundschaftlich verbunden ist.
Viele Möglichkeiten also, die Alpen kulinarisch zu entdecken. Hier, wo man sich schon immer auf das Wesentliche fokussiert hat, findet man auch in unseren Tagen zahlreiche Oasen der Erholung, man kann die Seele baumeln lassen, aktiv seine Freizeit verbringen und seinen Gaumen verwöhnen lassen. Gerade in diesen Zeiten ist bei vielen die Vorfreude auf den nächsten Urlaub besonders groß. Um diese Vorfreude aktiv genießen zu können, haben wir traditionelle Rezepte der Alpenküche zusammengestellt.
Über den Autor*Innen
Jörg Bornmann
Als ich im April 2006 mit Wanderfreak an den Start ging, dachte noch keiner an Blogs. Viele schüttelten nur ungläubig den Kopf, als ich Ihnen von meinem Traum erzählte ein reines Online-Wandermagazin auf den Markt zu bringen, welches eine hohe journalistische Qualität aufweisen kann, eine Qualität, die man bisher nur im Printbereich kannte. Mir war dabei bewusst, dass ich Reisejournalisten und Spezialisten finden musste, die an meine Idee glaubten und ich fand sie.