„Land, Lust und Fantasie waren da. Statt finanzieller Sicherheit gab es im Tausch mehr Zufriedenheit“, beschreibt Francesco Gangemi was ihn vor einigen Jahren dazu gebracht hat, seinen Beruf als Vermessungstechniker an den Nagel zu hängen und fortan statt Häuser zu errichten, Bergamotte anzubauen. Jene Zitrusfrucht, die etwas aussieht wie eine Orange mit gelber Schale, deren Duftnote in vielen Nasen ist und deren Herkunft nicht wirklich geklärt ist.
Kolumbus soll die Bergamotte nach Italien gebracht haben, sagen die einen. Sie kam aus China oder Griechenland, die anderen. „Die wahrscheinlichste Erklärung ist, dass es sich bei der Bergamotte um eine genetische Mutation der ‚limon pusillus calaber‘ handelt, eine heute nicht mehr existente Zitronenart aus dem Süden Kalabriens, ist Francesco Gangemi überzeugt. Fakt ist: Über 95% der weltweit angebauten Bergamotten stammen aus Kalabrien. Genauer aus einem rund 100 Kilometer langen Streifen entlang der Ionischen Küste in der Provinz Reggio Calabria.
Über 350 Aromen. Eine zitronig, frisch-würzige Duftnote. Das aus ihrer Schale gewonnene ätherische Öl hat die Bergamotte einst zu einer gefragten Frucht gemacht. Bereits Ludwig XIV. und sein Hofstaat schätzen das Bergamotte-Öl. 1704 wurde es, als Bestandteil des „Aqua Admirabilis“, zur Herstellung des ersten Eau de Toilette verwendet, aus dem später das bekannte „Kölnisch Wasser“ wurde. Und noch heute wird das Bergamotte-Öl in vielen Parfumkreationen und Kosmetikprodukten verwendet. Rund 200 Kilogramm Früchte braucht es, um einen Liter davon herzustellen.
1750 hat der Italiener Nicola Parisi den Grundstein zur Kommerzialisierung des Bergamotte-Anbaus geschaffen und die erste Bergamotte-Plantage angelegt. Unweit des öffentlichen Strandbads von Reggio Calabria, quasi mitten in der Stadt. Rund drei Kilometer Luftlinie davon entfernt, in den Bergen, mit Blick aufs Meer, liegt der landwirtschaftliche Betrieb von Francesco Gangemi. Der hat sich dem Bergamotte-Anbau mit Herz und Seele verschrieben und stellt in Eigenproduktion verschiedenste Produkte auf Bergamotte-Basis her. „Viele verschiedene Produkte, in kleinen Mengen, alles bio, hausgemacht und eigenvermarktet“, ist seine Betriebsphilosophie. Die Auswahl reicht von Limonaden, Säften und Tees, über Marmeladen und Nahrungsergänzungsmittel bis hin zu Cremes und Seifen. Das berühmte Olio Essenziale di Bergamotto inbegriffen. Alles liebevoll verpackt und per Hand etikettiert.
Contrada Limbone und dann nach links. In Spitzkehren eine kleine, enge Straße hinunter, die sich den Berghang entlang schlängelt: Wer nicht weiß wo er hinmuss, kommt ins Zögern. Trotz Navi. Francesco bringt mich die letzten Kilometer in seinem Auto und macht gleich auf die Besonderheiten des tiefeingeschnittenen Bergtals, das sich in imposanter Schönheit darbietet, aufmerksam. „Einst war hier Urmeer“, erklärt Francesco während er sich bückt und als Beweis eine der Muscheln aufhebt, die aus dem sandig, lehmigen Boden am Wegesrand hervorblitzen. „1965 wurde im Tal sogar das Skelett eines Walfischs gefunden. Das lagert heute irgendwo im Museum von Reggio Calabria“, erzählt er weiter. Und regt sich Sekunden später wortgewaltig darüber auf, dass nur unweit vom Aussichtspunkt Berge illegalen Mülls entsorgt wurden. Ein in Kalabrien weit verbreitetes Problem, das in starkem Kontrast zur landschaftlichen Schönheit dieser Gegend steht, die zu ärmsten Regionen Europas zählt. „Gelder wären schon da, die kommen nur nie dort an wo sie sollen und die illegale Müllentsorgung habe ich bereits mehrfach bei allen möglichen Stellen angezeigt. Aber es passiert einfach nichts. Schreib das ruhig in Deinen Artikel“, echauffiert Francesco sich weiter. Das Leuchten in seinen Augen kommt erst dann wieder zurück, als er mich zwischen den Bergamotte-Bäumen durchführt. Die hängen jetzt Ende Januar voller Früchte. Von Oktober bis März ist Erntezeit. “Bei mir auch oft bis Ende April/Anfang Mai weil ich etwas höher liege“, sagt Francesco. Dann zeigt er mir die neu angepflanzten Bergamotte-Bäumchen. Auf entlang des Berghangs frisch angelegten Terrassen stehen sie. Unten ein kahles Stämmchen Bitterorange, obendrauf gepfropft der Bergamotte-Schössling, mit kräftigen grünen Blättern. „Der Bergamotte-Baum wächst nur, wenn er auf Bitterorange gepfropft wird. Wenn man Bergamotte-Samen sät, wächst Bitterorange“, erklärt Francesco eine Besonderheit der Bergamotte.
Eine Pflanze mit eigenem Charakter und ein Früchtchen mit Potenzial, das in der zweiten Hälfte des 18. und im gesamten 19. Jahrhunderts wegen der starken Nachfrage nach Bergamotte-Öl die Provinz von Reggio Calabria wirtschaftlich nach vorne gebracht hatte. Bis 1908 der Einbruch kam. Ein Erdbeben zerstörte die Stadt Reggio Calabria und deren Umgebung. Der Bergamotte-Anbau kam so gut wie zum Erliegen. Doch damit nicht genug, in den 1960er bis 1980er Jahren versuchte die chemische Industrie dann ein synthetisches Bergamotte-Öl auf dem Markt zu platzieren und dem natürlichen Bergamotte-Öl aus der Gegen von Reggio Calabria den Rang abzulaufen. „Damals wurde auch die gezielte Falschinformation verbreitet, dass das natürliche Bergamotte-Öl krebserregend sei“, erzählt Ezio Pizzi. Der Rechtsanwalt ist Vorsitzender des Consorzio di Tutela del Bergamotto di Reggio Calabria. Ein 2007 von Bergamotte Großproduzenten, Verarbeitungs- und Abpackbetrieben gegründetes Konsortium, das sich den Schutz des Bergamotte-Öls auf die Fahnen geschrieben hat. „Nach dem Einbruch kam der Aufschwung“, sagt Pizzi, der noch weiteren Vereinigungen zum Schutz und zur Vermarktung der Bergamotte und aus Bergamotte hergestellten Produkten vorsitzt. „Zuerst wurde wissenschaftlich widerlegt, dass natürliches Bergamotte-Öl krebserregend ist. Dann erfolgte ein weiterer wichtiger Schritt: Seit 2001 ist das ‚Bergamotto di Reggio Calabria – olio essenziale“, ein DOP Produkt“, so Pizzi weiter. Also ein per Verordnung der Europäischen Union in seinem Ursprung geschütztes Produkt, dessen Herstellung auf eine bestimmte geografische Region beschränkt ist und nur nach bestimmten Verfahren erfolgen darf. Das spornt Pizzi an. Was die Vermarktung und was die damit verbundenen wirtschaftlichen Vorteile für die Region betrifft.
Pizzi stammt selbst aus einer Landwirtsfamilie und liebt, wie er sagt, die Herausforderung die Bergamotte aus der Gegend um Reggio Calabria zu pushen. Nicht nur wegen des ätherischen Öls, sondern allgemein als Früchtchen mit Potenzial. „Bergamotte wirkt Cholesterin- und Blutzuckersenkend sowie antiseptisch und schmerzstillend“, zählt er einige der gesundheitsfördernden Eigenschaften der Bergamotte auf. Außerdem ließe sich mit Bergamotte auch gut kochen. „Eine Marinade für Carpaccio mit Bergamotte beispielsweise ist viel besser als eine mit Zitrone“, ist Pizzi überzeugt. „Bergamotte bringt den Eigengeschmack von Fleisch und Fisch viel besser zur Geltung“, pflichtet ihm Francesco Gangemi bei.
Francesco Gangemi macht Betriebsführungen und liefert auch nach Deutschland https://www.oliogangemi.org/
Allgemeine Infos Consorzio di Tutela del Bergamotto die Reggio Calabria: www.consorziodituteladelbergamotto.it/
Über den Autor*Innen
Maren Recken
Maren Recken ist als freie Journalistin mit Videokamera, Fotoapparat und Notizblock unterwegs. Häufig in Italien, am liebsten im Gespräch mit den Menschen vor Ort; auf der Suche nach einer besonderen Story und einem authentischen Reiseziel. Sie veröffentlicht online und in verschiedenen Tageszeitungen, dreht Videos und erstellt Imagefilme. Während und nach ihrem Germanistikstudium hat sie mit verschiedenen privaten Radio- und Fernsehsendern zusammengearbeitet. Bei La Nazione in Florenz hat sie in der Onlineredaktion erlebt, wie Journalismus in Italien funktioniert.