Mit seinen Kochboxen ist das Berliner Unternehmen Hello Fresh der Platzhirsch beim Geschäftsmodell „Lebensmittel samt Rezepte direkt nach Hause“. Nur: wie schmecken die Gerichte jemandem, der gerne gut isst und ebenso gerne kocht? Unser Autor Klaus Pfenning hat drei Wochen lang einen Selbstversuch unternommen.
Die Idee
Früher hat mich mal jemand einen „Dosen-Dünnsuppenkocher“ genannt. Zu Recht. Aber das ist lange her. Heute koche ich gerne, probiere immer wieder neue Rezepte und Variationen aus, bin experimentierfreudig, in alle Richtungen. Warum also nicht mal die gewohnten Pfade verlassen und ein paar Wochen lang die Kochboxen von Hello Fresh ausprobieren? In Deutschland bietet das Unternehmen vier verschiedene Stile von Mahlzeiten: Fleisch und Gemüse, Vegetarisch, Familienfreundlich oder Balance. Ich entscheide mich für Letzteres, also für „von allem ebbs“, wie es die Kurpfälzer zu sagen pflegen. Die Auswahl überlasse ich Hello Fresh. Schließlich soll es für mich eine Art Zufallsessen sein. Bestellt werden drei Mahlzeiten pro Woche für jeweils zwei Personen. Ich bin gespannt.
Der Start
Er verläuft holprig. Sehr holprig sogar. Die Kochboxen sollen immer montags angeliefert werden, so die Vereinbarung. Statt Fleisch, Fisch und Gemüse erreicht mich an diesem Tag aber nur eine Mail des Logistik-Dienstleisters, dem mit drei Buchstaben und großen braunen Kastenfahrzeugen. Er kündigt eine Verschiebung auf den nächsten Tag an. Und dann auf den übernächsten. Schließlich auf den überüberübernächsten, weil zwischendrin ein regionaler Feiertag ist. Telefonisch ist im gerade einmal vier Kilometer entfernten Depot niemand erreichbar, alles läuft über eine 0180er Nummer. Die ist kostenpflichtig und verbindet mit einer Computerstimme. Die Sendung sei unterwegs, sagt sie. Einen genauen Lieferzeitpunkt könne sie nicht nennen, ich solle zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal den Lieferstatus prüfen.
Es wird Freitagnachmittag, noch immer ist keine Kochbox bei mir angekommen. Dafür ist der Kühlschrank leer. Gegen 15 Uhr mache ich auf den Weg zu meinem Wochenendeinkauf, irgendetwas muss ich ja essen. Als ich eine knappe Stunde später zurückkomme, traue ich meinen Augen nicht. Im Treppenhaus wartet die Hello Fresh Kochbox auf mich. (Anmerkung: die nächsten Zustellungen klappen reibungslos. Mittelfristig will Hello Fresh dazu übergehen, die Boxen von regionalen Verteilzentren aus mit eigenen Fahrzeugen zuzustellen.)
Der erste Eindruck
„Einfach besser essen“ steht auf der Box. Und: „Nachhaltig auf ganzer Strecke“.
Weiter: „Mit Hello Fresh kommen Deine Zutaten schnell & direkt vom Feld auf Deine Gabel. Das heißt: Frischere Lebensmittel, weniger CO2-Emissionen & Lebensmittelverschwendung.“ Die Box wurde in Verden an der Aller gepackt, das ist in der Nähe von Bremen und damit knapp 500 Kilometer von meinem Wohnort in der Nähe von Heidelberg entfernt. Regional sieht anders aus. Sechs Tage war diese erste Box nun unterwegs. Dennoch machen die Zutaten einen erstaunlich frischen Eindruck. Ok, es ist Januar. Dass eine Möhre etwas schrumpelig daherkommt und eine Tomate etwas angedatscht – nun gut. Im Supermarkt würde man so etwas liegen lassen. Aber dort wird ja bekanntermaßen auch vieles einfach nur deswegen weggeworfen, weil es nicht perfekt aussieht.
Die meisten Zutaten für jeweils eine Mahlzeit finden sich in einer braunen, kompostierbaren Tüte. Lustig ist, dass auch schon mal ein einziges Knoblauchzehlein oder ein Frühlingszwiebelchen von der Dicke eines Strohhalms darunter ist. Frische Sachen wie Fleisch, Fisch oder Sahne stecken in einer Art „Minischlafsack“. Was gut ist gegen Kälte, hilft schließlich auch gegen Wärme. Zusätzlich gekühlt wird mit großen Eisbeuteln, deren Inhalt bei der ersten Lieferung zwar geschmolzen, aber immer noch recht kalt ist. Der kleine Schlafsack könne recycelt werden, heißt es. Überhaupt liegt dem Kochboxenversender die Kommunikation zum Thema Nachhaltigkeit besonders am Herzen. Schließlich weiß er um die Problematik langer Transportwege und mannigfacher Verpackungen. „Materialschlacht“ haben es Freunde genannt, die ebenfalls für ein paar Wochen aus der Box gekocht haben.
Nachhaltigkeit liest sich bei Hello Fresh so: die Box an sich, die ja nichts anderes ist als ein Versandkarton, sei recycelbar, ebenso der Beutel für das kühlende Eis. Und, erstmal getaut, könne man mit dem Wasser ja auch seine Blumen gießen. Was ich in der Tat auch tue. Über die Bedeutung des Begriffs Nachhaltigkeit lässt sich trefflich streiten. Für mich ist der beste Müll immer noch der, der erst gar nicht produziert wird. Dazu zählen auch das Tütchen für 4 Gramm Gemüsebrühe, das Beutelchen für ein bisschen Senf oder das Plastikbehältnis mit ein paar wenigen Tropfen Kürbiskernöl. Wo die Zutaten genau herkommen, verraten sie nicht. Auf den meisten steht ausschließlich Hellofresh als „Inverkehrbringer“, ähnlich wie bei den Eigenmarken der großen Lebensmittelhändler. Auf den Rezeptkarten werden lediglich die Herkunftsländer aufgelistet. Das können in der Summe schon fast mal ein Dutzend aus vier Kontinenten sein. Gefühlt versammelt sich da die halbe Welt auf meinem Teller.
Das Kochen
Wir kochen immer zu zweit, meist in abwechselnder Besetzung. Und wir wollen kritisch an die Sache herangehen. Die Zutatenliste sieht bei manchen Gerichten erschreckend lang aus, der Rekord liegt bei 17 (Mexikanische Süßkartoffel aus dem Ofen mit Guacamole, Koriander und Sauerrahmdip. Auf jeder Rezeptkarte im DIN-A-4-Format sind alle Zutaten abgebildet, dazu die durchschnittlichen Nährwerte sowie die Aufteilung nach Fett, Kohlehydrate und Eiweiß.
Die einzelnen Schritte beim Kochen sind ebenfalls bebildert und ausführlich beschrieben. Es ist ein bisschen wie bei „Malen mit Zahlen“. Und: Alle Rezepte, mit Betonung auf alle, sind leicht zuzubereiten. Zumindest dann, wenn man über Grundkenntnisse am Herd verfügt. Wer allerdings versucht, Ingwerstücke in der Größe von Pommes Frites zu schnitzen und ins Essen zu tun, der wird ein Problem bekommen. Alles schon erlebt, nicht nur zu Studententagen.
Der Geschmack
Auch meine Mitesser sind in Sachen Ernährung durchaus kritische Zeitgeister. Und sie sind, genau so wie ich, bei den gelieferten Mahlzeiten immer wieder positiv überrascht. Ein ums andere Mal bekommen wir Rezepte, denen wir sonst nie begegnet sind. Hello Fresh kreiert sie selbst – und gibt sich dabei richtig Mühe. Das gilt auch für die Optik. Die meisten Gerichte kommen vergleichsweise bunt auf den Teller und machen schon über das Auge Appetit. Selbst bei Standardgerichten schafft es der Kochboxenversender, den Geschmack in eine ganz neue, unbekannte Richtung zu drehen.
Beispiel Risotto
Das Reisgericht hab ich bestimmt schon hundertmal gekocht. Aber verfeinert mit Dill – auf diese Idee bin ich noch nicht gekommen. Das Kraut ist hocharomatisch und lässt den Reis auf dem Gaumen geschmacklich ganz anders daherkommen. Getoppt wird das Ganze noch mit frisch gerösteten Haselnusskernen. Das sorgt nicht nur für ein unerwartetes Biss-Erlebnis im Mund. Sondern vor allem für ein kleines Feuerwerk für die Geschmacksnerven. Auf die Rote Beete im Beilagensalat hätte ich allerdings verzichten können. Aber das ist einfach Geschmackssache – und ich hab dieses rote Zeug einfach noch nie gemocht. Alle Zutaten sind so bemessen, dass selbst gute Esser davon satt werden können. Und dennoch hinterher noch Platz für einen kleinen Nachtisch bleibt. „Vollgefressen“ geht niemand vom Tisch, zumindest niemand mit Durchschnittsappetit. „Das Essen ist leicht, bekömmlich, ausgewogen, nährend und nicht belastend“, notiert es eine meiner Mit-Testerinnen, die Rezepte „kreativ und inspirierend“.
Der Preis
Eine Kochbox mit drei Mahlzeiten für jeweils zwei Personen schlägt, einschließlich der Transportkosten, mit rund sechs Euro zu Buche. Angesichts des „Rundum-Sorglos-Pakets“ mit Produkten, Rezepten und Lieferung erscheint das angemessen. Rinderfilet, Rehrücken oder Jakobsmuscheln darf man bei diesem Preis freilich nicht erwarten. Das würde das Budget schlichtweg sprengen. Dafür wurde an der Qualität auch des Fleischs nicht gespart. Die gerade in Sachen Rind kritischste Mitesserin attestierte selbst dem Hackfleisch die Note „gut bis sehr gut“. Welche Mahlzeiten in der Box sind, lässt sich jede Woche bequem per Internet oder App bestimmen. Gegen Aufpreis kann man die Gerichte dann auch „upgraden“, also aus einem vegetarischen Gericht ein Fleischgericht machen. Oder Suppe, Salat und Nachtisch hinzufügen.
Fazit
Meine anfängliche Skepsis und die hochgezogenen Augenbrauen wegen der deutlich verspäteten Erstlieferung haben sich schnell gelegt. Die Qualität der Produkte, die Vielfalt der Rezepte, die oft überraschende Zusammenstellung der Zutaten, die Einfachheit der Zubereitung und der oftmals sehr aromatische Geschmack haben alle überzeugt. Nach jeder Mahlzeit vergeben wir eine Schulnote. Nach insgesamt neun Essen kommen wir auf einen Schnitt von 2+. Über ein solches Ergebnis wäre ich in der Schule ganz schön froh gewesen… Punktabzug gibt es eindeutig für den vielen Verpackungsmüll. Und wer es wirklich regional haben, der Möhre beim Wachsen förmlich zuschauen möchte, der ist bei einem Kochboxenversender an der falschen Adresse. Das gilt auch für diejenigen, die ausschließlich auf Bio setzen.
Das Praktische ist: Die Rezeptkarten wandern nicht etwa in den Müll, sondern werden gesammelt. Schließlich kann man die Gerichte ja auch in eigener Regie nachkochen, auch wenn Hello Fresh dies natürlich buchstäblich nicht schmeckt. Die Zutaten finden sich in jedem auch nur halbwegs gut sortierten Supermarkt. Einkaufen muss man dann natürlich selbst, dafür dürfte es ein Stückweit billiger werden. Wieviel CO2 man beim Einkauf produziert, hängt dabei vom Verhalten jedes Einzelnen ab. Wer mit dem SUV zum Biomarkt fährt, der schießt sich selbst ins Knie. Hello Fresh wirbt damit, den gesamten CO2-Ausstoß seiner Produktions- und Lieferkette durch entsprechende Zahlungen an Klimaschutzprojekte zu kompensieren. Dies gilt auch für die Verpackungen.
Kasten: Hello Fresh
Nach Angaben des Unternehmens handelt es sich bei Hello Fresh um die „beliebteste Kochbox der Welt“. Im vergangenen seien in 14 Ländern, darunter auch die USA, Kanada und Australien, über 600 Millionen Mahlzeiten an mehr als fünf Millionen Kunden geliefert worden. Während der Corona-Pandemie ist das Geschäft geradezu explodiert, der Umsatz hat sich im vergangenen Jahr nahezu verdoppelt. Mit Erlösen von fast vier Milliarden Euro zählt Hello Fresh zu den ganz Großen in der deutschen Lebensmittelbranche. Die Aktiengesellschaft ist an der Börse notiert und im M-Dax vertreten, Deutschlands zweithöchster Börsenliga. Ihr Unternehmenswert liegt bei etwa zehn Milliarden Euro. Zum Vergleich: die ehemals stolze Lufthansa bringt es derzeit gerade noch auf gut sechs Milliarden.
Über den Autor*Innen
Klaus Pfenning
Klaus Pfenning wuchs am Rande des Odenwalds auf – und damit eher mit Apfelwein. Erst im frühen Erwachsenenalter wurde ihm bewusst, dass sich auch aus anderen Früchten wunderbare Weine herstellen lassen. Vor allem aus Trauben, weißen wie roten. Vor 30 Jahren verlegte der Naturliebhaber seinen Lebensmittelpunkt an die Badische Bergstraße. Von dort aus kann er nicht nur den heimischen Winzern bei der Arbeit zuschauen. Sondern auch hinüberblicken in die Pfalz und nach Rheinhessen. Dem wachsenden Interesse am Wein konnte das nicht schaden.