Normalerweise beginnt der Tag eines Schnapsbrenners früh am Morgen. Zumindest der von Arno Pauli in Absam, Tirol. Um 7 Uhr steht er geduldig vor seiner dampfenden Brennanlage, ausgestattet mit Spucknapf und viel Trinkwasser. Der 53-Jährige muss ein paar Stunden durchhalten, manchmal auch bis in den Spätnachmittag hinein, eben bis der Brennvorgang abgeschlossen ist.
Seit 1930 wird in dem Tiroler Haus Schnaps gebrannt. Bei Pauli geschah es der Liebe wegen. Das war vor über 25 Jahren als er seinem Ex-Schwiegervater beim Brennen zusah und mithalf. „Früher ging es beim Schnapsbrennen meist nur um Resteverwertung, also um Früchte, die am Boden lagen. Heute wird auf Qualität statt Quantität geachtet“, beschreibt der Familienvater den dadurch entstandenen Generationenkonflikt.
Der gelernte Tischler ist mit Leib und Seele Schnapsbrenner, Edelbrandsommelier und Bierbrauer. Sensorik-Kurse hat er gemacht, und in Offenburg den Beruf des Brenners erlernt. Auch war er in der Schweiz und in England unterwegs. Der gebürtige Haller hat einen bunten Lebenslauf: Als Berufsmusiker hat er bei den Tiroler Gebirgsjägern Klarinette gespielt. Später ließ er sich zum Sanitäter ausbilden und arbeitete als Krankenpfleger. Dann kam das eigene Gasthaus, das er mit seiner Frau betrieb, und nach der Scheidung wurde er hauptberuflich Schnapsbrenner.
Frei nach Gusto
Schon vorher stellte er eigene Regeln auf: „Den Fusel von dir kann man nicht trinken“, machte er seinem Schwiegervater schon ganz am Anfang klar. Dann gab es Streit und letztendlich ein Einsehen. Frei nach Gusto konnte Pauli nun kreieren und experimentieren. Es hat sich gelohnt: Auch Gin, Rum und Whiskey sind unter den erlesenen Tropfen. Die Wände der Brennerei zieren Auszeichnungen. Corona war für ihn kein Einbruch, im Gegenteil: „Ich habe immer schon Endkunden gehabt. Sie fragen häufig, was es denn Neues gibt.“ Zusätzlich zu seinem kleinen Lokal im mittelalterlich geprägten Hall möchte er gar nicht weiter expandieren. „Das reicht, ich bin in der Region gut verwurzelt.“
Vor allem hat ihn Gin und Sake fasziniert, die er aus seiner Berufswelt als Verkoster kennt. „Ich achte immer darauf, was mir besonders gut schmeckt und versuche es dann selbst.“ Das Wichtigste sei dabei das Haltbarmachen von Fruchtaromen. „Frische und reife Früchte werden gewaschen und zerkleinert, Hefe wird dazugegeben, um den Fruchtzucker in Alkohol umzuwandeln“, erklärt er. „Sobald kein Zucker mehr vorhanden ist, ist die Gärung abgeschlossen und es geht weiter mit der Destillation. Die Maische wird erhitzt und der Alkohol verdampft.“ Nach der Destillation entstehe der Raubrand. Nun muss die ausgelaugte Maische entsorgt und der Brennkessel mit heißem Wasser gereinigt werden. Dann wird der Raubrand noch einmal gebrannt. „Jetzt beginnt meine eigentliche Arbeit als Schnapsbrenner mit dem Feinbrand. Wenn ich gute Früchte verarbeite, kommt dabei auch was Gutes raus“, erklärt er. Die Kunst dabei sei, den Vor-, Mittel- und Nachlauf sensorisch abzutrennen. Am liebsten probiert er besondere, also nicht brenn-typische Früchte aus, wie Kaki oder Melone. Aber es muss nicht immer ein Obstbrand sein. Vor allem hat ihn der Gin fasziniert, den er aus seiner Berufswelt als Verkoster kennt. Derzeit stehen bei Pauli 13 Gins im Verkaufsregal.
Auf die Frage, welche Kreation die Nächste sein wird, schmunzelt er: „Wir werden sehen, was dieses Obstjahr mit sich bringt.“
Nachhaltigkeit im Bergdorf
Weniger als eine Autostunde von Absam entfernt, liegt Alpbach inmitten der Kitzbüheler Berge. Stolz ist das Fleckchen Erde auf seinen Titel von 1993 als schönstes Blumendorf Europas. Auch als Künstlerort Artopia machte es Promi André Heller bekannt. Das war damals, 1979, der provokative Neben-Schauplatz zur Jahrestagung des 1945 gegründeten Europäischen Forums. Das Kongressgebäude trägt heute die Botschaft „Nachhaltig tagen im Bergdorf“ und ist immer noch ein Geheimtipp mit einem relativ geringen Bekanntheitsgrad. Jährlich treffen sich Wissenschaftler, Wirtschaftsgrößen, Denker und Politiker zum Green Meeting. Das heißt nicht, dass man sich im Freien trifft, sondern vielmehr in der modernen Aula mit dem spiralförmigen Lichtkegel, um neue Wege zu erforschen und Veranstaltungen und Seminare zu besuchen. In 1.000 Meter Höhe lassen sich Gedanken beflügeln und neue Trends entdecken. Dazu lädt das Gebäude als architektonisches Juwel im Berghang Menschen jeden Alters ein. Deshalb trägt Alpbach auch den Spitznamen „Dorf der Denker“, das durch seine jährliche Tagung mit Diskussionen rund um Nationen und Weltanschauungen auf die Probleme der Zeit aufmerksam machen will. Schon der österreichische Physiker und Nobelpreisträger Erwin Schrödinger sprach in den 1950er Jahren auf dem Kongress in Alpbach. Es gefiel ihm in dem Tiroler Dorf so gut, dass er sich hier auf dem Friedhof begraben ließ. Als Inschrift auf dem Grabkreuz steht die Gleichung jener Quantenmechanik, die seinen Namen trägt.
Kostenfreie Teilnahme am Europäischen Forum
Die diesjährige Veranstaltung findet unter dem Motto „Moment of Truth“ vom 17. bis 30. August 2024 statt. Stipendiaten aus aller Welt können sich für eine kostenfreie Teilnahme einschließlich Übernachtung und Taschengeld bewerben.
Beate Gschwentner, angehende Historikerin und Gästeführerin, klärt über die baulichen Besonderheiten des Dorfes auf: „Ab dem ersten Stock muss das gesamte Haus holzverkleidet sein. Es darf höchstens zwei Stockwerke und ein Dachgeschoss haben. Die Dächer dürfen nicht von einer Neigung zwischen 16 bis 22 Grad abweichen. Sie können nur mit Dachschindeln oder Dachplatten von grau bis dunkelgrau gedeckt sein. Das Dach ragt zwei Meter hervor, an der Giebelseite 2,5 Meter. Eventuelle Solarzellen dürfen nicht mehr als 15 Zentimeter überstehen, und Sprossenfenster müssen aus Holz oder Metall sein. Und kein Gartenzaun darf eine Höhe von 1,10 Meter übersteigen.“ Mit diesen strengen Regeln, so erklärt die gebürtige Stuttgarterin, soll sichergestellt werden, dass das Ortsbild einheitlich ist und so auch erhalten bleibt.
Bergfeuer in Form eines Herzens
In den auf 973 Meter Höhe gelegenen Alpbach mit den 2.500 Einwohnern bleiben Traditionen lebendig. „Geheiratet wird hier immer noch gern“, sagt Gschwentner. „Sobald das Paar aus der Kirche kommt, schießen die Mitglieder des Schützenvereins den Salut.“ Dann deutet sie auf einen Holzturm im Dorfkern. „Darin liegen fest verschlossen Alpbachs Geheimnistafeln mit den Inschriften der Rosenkranzgeheimnisse und der lauretanischen Litanei. Sie dürfen nur während der Prozessionen mitgetragen werden. Auch die Heiligenfiguren der Parade werden dort verwahrt.“
Gschwentner erzählt vom Bergfeuer in Form eines Herzens, das zur Herz-Jesu-Prozession zehn Tage nach Fronleichnam stattfindet. „Diese Feuer sind sehr selten, zeugen aber vom Kultur-Bewusstsein der Bewohner. An mehreren Tagen wird Holz zu den Feuerstellen am Berg getragen.“ Diesjährig finden sie am 8. und 9. Juni statt.
Die Sichel und der Sonnenstrahl
Was haben der Glöckner von Notre Dame, Don Quichote oder der Schinderhannes mit der kleinsten Stadt Österreichs zu tun? Sie alle traten schon bei den Rattenberger Schlossbergspielen auf. Das um 900 gegründete Örtchen in Tirol ist elf Hektar groß, hat 95 Häuser und 504 Einwohner. Stadtrechte bekam es im Jahr 1393 und gehörte bis 1504 zu Bayern. Einst diente es als Grenzfeste. Besuchern erscheint das mittelalterliche Stadtbild wie ein Märchen. Mit seinem blühenden Glashandwerk setzt Rattenberg inmitten geschichtsträchtiger Mauern die jahrhundertealte Tradition des Glasmachens fort.
Was für Arno Pauli der Heilige St. Nikolaus ist, nämlich Schutzpatron der Schnapsbrenner und Bierbrauer, ist für die bäuerliche Bevölkerung die Heilige Notburga, die im 13. Jahrhundert in Rattenberg geboren wurde. Der Bauer, bei dem sie arbeitete, erlaubte ihr bei Dienstantritt, abends zum Geläut der Glocken in die Messe gehen zu dürfen. Nach einigen Jahren brauchte er sie für das Einbringen der Ernte, als sie schon im Begriff war, in die Kirche zu gehen. Notburga bat den Herrgott um Beistand. Der Legende nach warf sie ihre Sichel in den Himmel. Diese blieb an einem Sonnenstrahl hängen und seitdem ist sie die Schutzpatronin der Mägde, Knechte und Dienstboten.
Weitere Informationen
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Über den Autor*Innen
Sabine Ludwig
Sabine Ludwig ist eine deutsche Journalistin und Reiseautorin, immer auf der Suche nach außergewöhnlichen Storys. So hatte sie die burmesische Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi zum Interview in ihr Haus in Rangun eingeladen. Lauren Baltridge, ehemalige Privatsekretärin von Jackie Kennedy, empfing sie zum Tee in Washington D.C. und Vera Bohle erzählte ihr über ihr riskantes Leben als Minen-Räumerin. Sabine Ludwig wurde in Würzburg geboren und ist dort zur Schule gegangen.