Zahlen fürs Einkaufen und Nudeln mit Krönchen

Im kulinarischen Kartenspiel ist der Edelgreissler Herwig Ertl der Hauptgewinn - (c) Maren Recken

Im Südwesten Kärntens präsentiert sich die weltweit erste Slow Food Travel Region mit speziellen Nudeln, einem Genussbotschafter, der fürs besondere Einkaufserlebnis Geld verlangt und einem Bio-Hotel mit Slow Food Lehre.

Mit dem Daumen schräg hineindrücken, eine Lasche herausziehen, diese mit dem Daumen schräg hineindrücken… wieder und immer wieder. Solange bis die mit Kartoffelstampf, Bröseltopfen - eine Art Hüttenkäse - Kerbel und brauner Minze gefüllte Teigtasche ein kunstvoller Rand ziert, der an ein Krönchen aus Spitze erinnert. Bevor die traditionelle Kärntner Kasnudl im Magen landet, wird sie im siedenden Wasser gegart und mit einer ordentlichen Portion geschmolzener Butter übergossen. Eine „Reise zu den Wurzeln des guten Geschmacks“ bringt zwar vielleicht das ein oder andere Gramm mehr auf die Hüften, bietet im Gegenzug aber vielfältige Genusserlebnisse und einen Blick hinter die Kulissen der Genusshandwerker, die ihr Wissen meist seit Generationen weitergeben.

„Ich krendel vier bis fünf Stunden täglich, an 300 Tagen im Jahr. Das ergibt rund 50.000 handgemachte Kärntner Nudln mit unterschiedlichsten Füllungen pro Jahr“, erzählt Ingeborg Daberer. Gemeinsam mit Schwester Gudrun weiht die Wirtin des Gasthofs Grünwald in St. Daniel im Gailtal Touristen in die Geheimnisse des Nudlkrendelns ein. Genauer gesagt Reisende, die im „köstlichsten Eck“ Kärntens genussvoll urlauben. Dort hat sich vor knapp zehn Jahren im Gail-, Gitsch- und Lesachtal sowie am Weissensee die weltweit erste Slow Food Travel Region Alpe Adria Kärnten formiert. Wer in diesen geographisch ziemlich abgelegenen Genusshotspot Österreichs reist, schätzt regionale Nahrungsmittel und Traditionen und möchte die Menschen kennenlernen, die hinter den Produkten der Region stehen. Kennenlernen und mitmachen, statt nur beobachten und konsumieren. Außer beim Nudlkrendeln geht das beispielsweise beim Bioeis und Biokäse Herstellen oder beim Brotbacken mit Sauerteig. Alles sogenannte Slow Food Travel Erlebnisse, bei denen die Macher der kulinarischen Köstlichkeiten als Genussbotschafter unterwegs sind. Denn die Slow Food Travel Region im Grenzgebiet zu Italien setzt der weltweiten Slow Food Bewegung noch einen obendrauf und erweitert deren Fokus auf nachhaltig erzeugte Lebensmittel, für die die Produzenten fair bezahlt werden, zu einem genussvollen ganzheitlichen Urlaubserlebnis mit Slow Food Akademie und passenden Unterkünften. Eine davon ist „der daberer. das biohotel“, am Waldrand oberhalb von St. Daniel gelegen: bereits vor über 45 Jahren Biopension mit eigener Quelle, als Bio für die Meisten noch ein Synonym für irgendetwas Obskures auf Körnerbasis war.

„Die haben doch einen Vogel, gibt es da oben überhaupt etwas zu Essen, haben die Einheimischen die Gäste gefragt, als meine Eltern 1978 das Heilbad des Urgroßvaters in eine Biopension umgewandelt hatten“, erzählt Marianne Daberer von den Wurzeln des heutigen 4-Sterne-Superior-Hotels, das sie gemeinsam mit Bruder Christian führt. Mit einem Vogel als Hotellogo und einer Küche, die neben den Hotelgästen mittlerweile auch die Einheimischen schätzen: alles Bio, das Meiste in Slow Food Tradition vom Produzenten in der Nachbarschaft. „Bio ist mir ganz wichtig. Außer ganz wenigen Ausnahmen, wie beispielsweise wildgesammelten Beeren oder Almkäse, verwenden wir in unserer Küche ausschließlich Bioprodukte und machen Vieles selbst“, erzählt die Obfrau der ARGE Slow Food Travel Alpe Adria Kärnten und Mitbegründerin des Slow Food Convivium Alpe Adria. 2015 hat sie gemeinsam mit Slow Food international, dem Bundesland Kärnten und den Regionen Gail-, Gitsch-, Lesachtal und Weissensee die weltweit erste Slow Food Travel Region auf den Weg gebracht. Ihr familiengeführtes Hotel im edlen Bio-Lifestyle gilt heute als Leitbetrieb eben dieser. „Wir leben hier in einer totalen Randregion, eine aus der viele abwandern. Slow Food ist für uns etwas, das zusammenführt, vernetzt und auch neue Betriebe in die Region bringt“, nennt Marianne Daberer die Vorteile von Slow Food für ihre Heimat. Keine Tourismusregion im klassischen Sinne, sondern eine, die auf leisen Tourismus setzt. Damit das so bleibt, ist es für Marianne Daberer nur konsequent, dass die Lehrlinge aus Küche und Restaurant des „der daberer. das biohotel“ auch eine Slow Food Lehre machen können. Mit einer Reise zur Wiege des Slow Foods ins italienische Piemont und praktischen Lehrwochen beim regionalen Biobauern, der gleichzeitig Metzger ist oder in der Biokäserei als festem Lehrbestandteil. Kein Lehrling mehr, sondern ein Meister seines Fachs ist Herwig Ertl, seines Zeichens Edelgreissler in Kötschach-Mauthen.

Vom klassischen Sortiment eines Greisslers – dem österreichischen Pendant zum Tante-Emma-Laden – mit dem Großvater Moser 1932 am Kötschach-Mauthener Hauptplatz das Kaufhaus Moser eröffnete, hat sich Herwig Ertl längst verabschiedet, setzt stattdessen auf „feine Spezialitäten“ und aufs eigene Charisma als Verkaufsargument. Graublauer Kittel, markante Gesichtszüge, ein Energiebündel, das kaum zu bremsen ist, wenn es um kulinarische Köstlichkeiten, die Produzenten dahinter und die gekonnte Kombination von Lebensmitteln geht, die am Ende nicht nur satt machen, sondern sich als wahre Geschmacksexplosion entpuppen. Sonnengeküsste Tomaten auf Senf mit Aktivkohle auf Schwiegermutterzungen oder geräucherte Ricotta mit Sardellen und Mandarinenmostarda. Die Sardellen-Colatura kommt mit der Pipette nur tropfenweise obendrauf und bringt das besonders intensive Geschmackserlebnis zum Vorschein. Eine Art Champagner, 28 Monate auf der Hefe gereift, aus der autochthonen Sorte Grignolino: Herwig Ertl bringt ein Slow Food Produkt nach dem anderen zur Verkostung. Erzählt von den Erzeugern, die er alle persönlich kennt, gibt den Kunden Anregung für besonders geschmackvolle Kombinationen. „So ein Geschäft wie wir es sind, eine Edelgreisslerei mit Bildungsauftrag, gibt es sonst nirgends mehr“, rückt er selbst seine Einzigartigkeit ins rechte Licht und betont, der Einkauf bei ihm habe nicht das Ziel einzukaufen, um satt zu werden: „Mein Ziel ist es, den Menschen einen Mehrwert zu bieten und der Mehrwert ist, zu wissen, was kann ich mit dem gekauften Produkt tun“, erklärt er seine Verkaufsphilosophie und die Tatsache, dass beim begleiteten Einkaufserlebnis mit dem Ertl nicht nur die erworbenen Produkte, sondern auch das Einkaufen per se bezahlt werden muss. Das Argument dafür: „Ich nehme mir Zeit nur für Dich, wir verkosten, kombinieren und schaffen neue Gerichte“. Und Herwig Ertl wäre nicht der überzeugte Genussbotschafter, der er ist, hätte er nicht mit dem „kreativsten Kochbuch der Welt“, wie er es selbst beschreibt, auch noch eine Idee für zu Hause parat: Ein Kartenspiel, bei dem Kartenpaare gesammelt werden müssen, die Anregung für besonders geschmackvolle Kombinationen geben. Da gehört dann beispielsweise der Zitronen-Balsamico zum Fischcarpaccio mit Fleur du Sel oder das Haselnussöl zum Rucola mit Parmesan. Gewonnen hat, wer am Ende die einzige Karte ohne Pendant in der Hand hält, die das Konterfei des Edelgreisslers ziert. Weil der sich als echter Gewinn für die Produzenten sieht, indem er deren Produkte bekannt macht. Und als Mehrwert für die Reisenden in der Slow Food Travel Region Alpe Adria, die sich als Urlaubssouvenir eine spielerische Anregung für Genussmomente zu Hause mitnehmen können. 

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Anreise:

  • Mit dem Auto von Norden via München, Kufstein und Felbertauerntunnel (Tunnel mautpflichtig) bis Dellach im Drautal

  • Mit dem Zug nach Bahnhof Oberdauburg, mit Taxi bis Kötschach-Mauthen, ab dort kostenloser Hotelshuttle oder via Villach nach Bahnhof Hermagor, weiter per Bus nach Dellach.

  • Flughäfen: Klagenfurt (2h bis Dellach), Salzburg oder Venedig (je knapp 3 h)

Unterkunft

  • der daberer.das biohotel, 4-Sterne-Superior Hotel am Hang oberhalb von St. Daniel mit großem Wellnessbereich, Holz beheizter Sauna und Waldteich. Wo Ruhe als neuer Luxus gilt, ist fast alles 100 % Bio. Pro Nacht/Person inklusive der daberer Küchengenuss ab 169 € www.biohotel-daberer.at

  • Gasthof Pension Grünwald, klassisches Gasthaus, über 300 Jahre im Familienbesitzt, im Ortszentrum von St. Daniel. Im Slow Food Betrieb werden Produkte aus der eigenen Landwirtschaft serviert und den Gästen das Nudl Krendeln gezeigt. Pro Nacht/Person inklusive Frühstück 62 € gruenwald.dellach.at

Slow Food erleben

  • Edelgreissler: Einkaufen wie ein kleiner Kochkurs bei und mit Herwig Ertl, der sich selbst als BIO = Ich bin in Ordnung bezeichnet. Zwei Stunden verkosten und kombinieren 35 €/Person. herwig-ertl.at/verkostungen

  • Wie die Krönchen an die Nudln kommen: Nudl Krendln mit Ingeborg Daberer ab 65 € alle Slow Food Erlebnisse unter www.slowfood.travel/de/Erlebnisse

  • Lesach-, Gail-, Gitschtal und Weißensee: Mehr zur weltweit ersten Slow Food Travel Region Alpe Adria Kärnten www.slowfood-kaernten.at/slow-food-travel/

Über den Autor*Innen

Maren Recken

Maren Recken ist als freie Journalistin mit Videokamera, Fotoapparat und Notizblock unterwegs. Häufig in Italien, am liebsten im Gespräch mit den Menschen vor Ort; auf der Suche nach einer besonderen Story und einem authentischen Reiseziel. Sie veröffentlicht online und in verschiedenen Tageszeitungen, dreht Videos und erstellt Imagefilme. Während und nach ihrem Germanistikstudium hat sie mit verschiedenen privaten Radio- und Fernsehsendern zusammengearbeitet. Bei La Nazione in Florenz hat sie in der Onlineredaktion erlebt, wie Journalismus in Italien funktioniert.